Es war ein Leben der Superlative, das Marlon Brando (1924–2004) führte: Als Schauspieler setzte er in Sachen Darstellungskunst neue Maßstäbe (vielen Kritikern gilt er gar als größter amerikanischer Filmschauspieler des 20. Jahrhunderts), wirkte in filmischen Meilensteinen mit und gewann zahlreiche Preise; als politischer Mensch sorgte er mit Bürgerrechtsengagement für Aufmerksamkeit; als Privatmann brachten ihm gescheiterte Beziehungen und die Tragödien rund um seine Kinder eine wahre Schlagzeilenflut ein. Begriffe wie Rebellentum und Egozentrik (seltener auch Verletztlichkeit) wurden von der schreibenden Zunft immer wieder bemüht, wenn es um das Rätsel Brando ging.
Die Komplexität von Brandos Psyche, an der sich zahlreiche Biografen abgearbeitet haben, mag in der Kindheit begründet sein: Er wuchs in Nebraska als jüngstes von drei Geschwistern auf, wobei die Wurzeln der Familie unter anderem deutsch, schottisch, englisch, irisch und französisch waren. Künstlerisch begabt waren sowohl seine Mutter Dorothy, die kurz als Schauspielerin tätig war, als auch seine Schwester Jocelyn, die ebenfalls als Mimin arbeitete. Vater Marlon Brando Sr., der sich neben anderen Professionen als Handelsreisender verdingte, sprach wie die Mutter stark dem Alkohol zu; die Kinder waren oft sich selbst überlassen. An der Schule zeigte Marlon Brando bereits viel von jenem Rebellentum und jener sozialen Unverträglichkeit, die später bei vielen seiner Rollen zum Markenzeichen werden sollten. Auf einer Militärakademie, die er 1943 ohne Abschluss verließ (aufgrund einer Sportver-letzung wurde er während des Zweiten Weltkriegs nicht eingezogen), machte Brando innerhalb einer Schauspielgruppe erstmals Erfahrungen mit der Bühnenwelt, wenn auch im Kleinen. In New York besuchte er (wie andere später zu Ruhm gekommene Kollegen, darunter Walter Matthau oder Tony Curtis) den Dramatic Workshop Erwin Piscators, den er – typisch Brando – 1944 nach Konflikten aber wieder verließ. Den wohl größten Einfluss auf seine Schauspieltechnik übte dort Stella Adler aus, die dem Lehrkörper angehörte: Sie unterrichtete das auf Stanislawski zurückgehende, auf eine realistische Darstellung abzielende Method Acting, das in Adlers Auslegung die sinnliche Imagination der Schülerinnen und Schüler zu stärken trachtete; Schauspieler sollten sich die Umstände, mit denen ihre Figuren konfrontiert waren, so klar wie möglich vorstellen.
Mit solcherlei Rüstzeug versehen, begann Brando mit kleinen Rollen am Broadway. Der Durchbruch beim Theater erfolgte 1947 in Elia Kazans Inszenierung von Tennessee Williams’ A Streetcar Named Desire. Die Rolle des animalistischen Machos Stanley Kowalski hatte durchaus Ähnlichkeiten mit Brando selbst, was Kazan auch erkannte und bei der Schauspielführung nutzte; die Aufführung, in der Marlon Brando an der Seite von Jessica Tandy, Kim Hunter und Karl Malden spielte, wurde ein durchschlagender Erfolg.
Vier Jahre später gelang Brando mit der ebenfalls von Kazan inszenierten Filmversion von Streetcar auch in der Filmwelt der große Durchbruch: Die intensive Präsenz Brandos bei gleichzeitigem Understatement, die Mischung von sexueller und aggressiver Ausstrahlung, das ikonisch geworende Posieren im T-Shirt – all das hatte man bis dahin so noch nie gesehen. Brando wurde gemeinsam mit Montgomery Clift und James Dean, die ebenfalls dem Method Acting huldigten, zu einem der großen männlichen Sexsymbole seiner Zeit. Brando erhielt für diesen Film wie auch für Viva Zapata! (1952) eine Oscarnominierung; das Revolutionsepos, bei dem wieder Elia Kazan Regie führte, brachte ihm zudem den Darstellerpreis in Cannes ein.
Ein großes künstlerisches Risiko ging der Schauspieler mit dem darauffolgenden Film ein: In der Shakespeare-Verfilmung Julius Caesar (1953, R: Joseph L. Mankiewicz) konnte sich Brando, der mit klassischem Bildungsgut bis dahin nur sporadisch in Kontakt gekommen war, mit klassischen britischen Shakespeare-Darstellern wie John Gielgud oder James Mason messen. Nach intensivem Studium des Barden und Sprechtraining (Brando war auch wegen seines Nuschelns bekannt, das einen starken Kontrast zum „schönen“, klar artikulierten Schauspiel der damaligen Zeit darstellte) meisterte er die Rolle des Mark Antony so überzeugend, dass es eine weitere Oscar-Nominierung setzte …
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