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Thierry Mugler

Text: Lena Style | Fotos: Montreal Museum of Fine Arts

Was wurde eigentlich aus Designer Thierry Mugler? Während es ruhig um den Meister der Extravaganz wurde, machte er privat eine verblüffende Transformation durch. Eine Retrospektive rückt sein Lebenswerk nun ins gebührende Rampenlicht.

Manfred Thierry Mugler, creator. Photo: © Max Abadian

Naomi Campbell in einem Fiberglas-Korsett in Form eines Autos samt Stoßstangen und Seitenspiegeln, Cindy Crawford in einem Bondage-Bodysuit mit Nippelquasten, Eva Herzigová von Kopf bis Fuß umringt von schreiend-roten Federn. Ende der 1980er Jahre war Designer Thierry Mugler unangefochten am Modeolymp angekommen. Sein Modehaus war das Synonym für Extravaganz und Innovation, Models rissen sich darum, in einer seiner fast einstündigen Modeschauen laufen zu dürfen, Journalisten liebten und hassten seine Entwürfe gleichermaßen. Mugler, Visionär und Enfant terrible der damaligen Modewelt, verstand es schon immer, mit seinen Entwürfen für größtmögliches Aufsehen zu sorgen, Weltstars wie Beyoncé, David Bowie oder Lady Gaga machten sich das bereits zu Nutze. Eine ikonoklastische Karriere also, die das Montreal Museum of Fine Arts nun mit der ersten Solo-Ausstellung „Thierry Mugler – Couturissime“ erneut ins Rampenlicht rücken möchte. So facettenreich und extravertiert wie seine Mode ist bis heute auch das Leben des nun 70-Jährigen.

Mugler erschuf seine Welt

1948 wurde Manfred Thierry Mugler in Strasbourg geboren und begann bereits in jungen Jahren von einer Welt zu träumen, die größer war als sein Heimatort. „Ich träumte davon, eine Welt zu kreieren, die mir entsprach. Meine eigene Welt“, schreibt er auf seiner Homepage heute. Als Kind entdeckte er sein tänzerisches Talent und startete mit 14 Jahren in der National Rhine Opera sein professionelles Training. Für sechs Jahre lebte der junge Manfred auf der Bühne und prägte damit sein Gefühl für Dramaturgie. 1968 zog es ihn nach Paris, wo er die Schaufenster einer Boutique gestaltete und als Nebenverdienst bereits Kleidung entwarf. Geschäftsmann Alain Caradeuc erkannte Anfang der siebziger Jahre sein Talent und verhalf ihm zu seiner Debütkollektion „Café de Paris“. Seinen zu deutsch klingenden ersten Vornamen Manfred strich er aus Marketinggründen von seiner Visitenkarte. Nur fünf Jahre später folgten die Eröffnung seiner ersten Boutique am Place des Victoires sowie der Launch einer Männerlinie. Der junge Azzedine Alaïa fand in den folgenden Jahren bei Mugler erstmals Anstellung und sammelte Erfahrung für seine zukünftige Erfolgsgeschichte. Mit wachsendem Erfolg und dadurch steigendem Budget konnte der junge Modeschöpfer Thierry Mugler bald auch seine ausgefallen Ideen verwirklichen. Er entwarf nicht für normale Frauen, sondern für Diven, Göttinnen und Primadonnen. Er verwandelte sie in exotische Kreaturen, Kriegerinnen aus der Zukunft oder Superheldinnen mit Cape. Perfekt getimt schien diese extravagante Mode mit dem Aufkommen der ersten Supermodel-Riege, Ende der achtziger Jahre. Linda Evangelista, Eva Herzigová, Naomi Campbell und Co. verwandelten die Laufsteg-Präsentationen in dramatisch-orchestrierte Shows.

Patrice Stable, Emma Sjöberg during the shooting of the video for George Michael’s song “Too Funky,” Paris, 1992, directed by Thierry Mugler. Outfit: Thierry Mugler, Les Cow-boys collection, prêt-à-porter spring/summer 1992. Photo: © Patrice Stable.

Erste Skandale

Mit so viel Aufmerksamkeit ließen Skandale natürlich nicht lange auf sich warten. Demi Moores semi-transparentes Kleidchen sorgte 1993 im Film Indecent Proposal (Ein unmoralisches Angebot) für Aufsehen – in Anbetracht dessen, was Mugler zeitgleich über den Laufsteg schickte, wirkte dieser Hauch von Nichts aber beinahe prüde. Seine Vorliebe für provokative Film-noir-Silhouetten mit spitzen Schulterpolstern, winzigen Taillen und stark betonten Hüften trafen nicht jedermanns Geschmack und wurden von vielen Modekritikern als sexistisch interpretiert. „Ich hatte es damals wirklich schwer. Die Journalisten verstanden meine Kollektionen überhaupt nicht, verurteilten sie und stellten nur dumme Fragen über meine Inspirationen. Es war schmerzhaft,“ erzählte der Designer dem Magazin Numero Homme. „Es ist manchmal besser, wenn man gar nicht versucht den Bullshit der Menschen zu verstehen. Als ich schwarze Models im Palais de la Porte Dorée als Ode an Afrika über den Laufsteg schickte, wurde ich sofort als Rassist bezeichnet.“

Am Olymp angekommen

Am Zenit seiner Schaffensphase hatte Mugler eine neue Ästhetik erschaffen. Korsetts an sich waren sicher keine Innovation. Vor Modeschöpfern wie Coco Chanel oder Paul Poiret, die in den 1920ern Damenkleidung erstmals ohne Taillenbetonung en vogue machten, wurden Frauenkörper immer wieder bis zum Äußersten eingeschnürt und verformt. Anders als diese tragbaren Gefängnisse waren Muglers Korsetts aber nicht dazu da, eine Frau einzuschränken – sie waren paradoxerweise vielmehr ein Symbol für Macht und Selbstbestimmung. Sie waren nicht einschnürend, sondern formend, symbolisierten Stärke und gaben der Trägerin Selbstbewusstsein. Vielleicht war es auch der Aufkommende „Casual Chic“, der in den Neunzigern allen voran von Calvin Klein und Helmut Lang beherrscht wurde, der die fantastischen Laufstegentwürfe Muglers besonders in den Fokus der Öffentlichkeit hob. Während die einen androgynen Minimalismus feierten, machte der Franzose Drag-Queen-Ästhetik zum Maß aller Dinge. Mugler kreierte einen Stil, den Modehistoriker gerne als eine futuristische Version von Christian Diors „New Look“ bezeichnen, gewürzt mit einem Touch Fantasie und Fetisch. Er war auch einer der ersten, die unübliche Materialien wie Metall, Vinyl, Kunstpelz oder Latex in die Prêt-à-porter-Kollektionen einarbeiteten und damit neben Tragbarem auch reine Show Pieces zeigte. Genau das kann jedoch der Grund für den leisen Rückgang des finanziellen Erfolges der Marke gewesen sein. Die Popularität stieg mit jeder Kollektion, der Absatz begann allerdings zum größten Teil von einem einzigen Duft in sternförmigem Flakon getragen zu werden. 1992 führte man nämlich das Parfum „Angel“ erstmals ein, seitdem zählt es zu den meistverkauften Düften aller Zeiten. Bei Lancierung war der Duft sehr umstritten. Florale Patchouli-Noten trafen erstmals in der Parfumgeschichte auf süße Pralinen-, Karamell- und Vanillearomen. Die besondere Form des Flakons wurde zum Problem, erstens durch die diffizile Produktion und zweitens durch den darauf resultierenden hohen Preis. Die Lösung war, typisch Mugler, eher unkonventionell. Man entschied, den Sternflakon nicht zum Wegwerfprodukt verkommen zu lassen und stattdessen ein System zum Wiederbefüllen in Parfümerien einzuführen. Der Erfolg des wiederbefüllbaren Parfums ist bis heute so ungebrochen wie einzigartig. Erst kürzlich erschienen im Sortiment leichte Colognes sowie der Männer-Duft „Alien Men“, der Aromen von Holz und Leder verströmt.

Dominique Issermann, Jerry Hall. Outfit: Thierry Mugler, Les Insectes collection, haute couture spring/summer 1997. Photo: © Dominique Issermann

Rückzug aus dem Business

Ab dem Jahr 1997 wurde das Modehaus von der Firma Clarins aufgekauft und hielt sich dadurch noch einige Jahre über Wasser. 2003 verkündete man den Abschied von Thierry Mugler – ob freiwillig oder unfreiwillig konnte die Öffentlichkeit bis heute nicht klären. Die Designer Nicola Formichetti und David Koma übernahmen danach die kreative Leitung, seit der Herbst-Winter-Saison 2018 hat der Amerikaner Casey Cadwallader den Posten als Creative Director inne. Um den namensgebenden Gründer des Modeimperiums wurde es für lange Zeit still, er zog sich komplett aus der Öffentlichkeit zurück. Heute weiß man, dass von der damaligen Person Thierry Mugler nichts übrig geblieben ist. Im 71. Lebensjahr sieht die Modelegende aus wie ein anderer Mensch: Muskelberge, gebräunte Haut und enge Anzüge lassen keinerlei Anzeichen seines wahren Alters zu, seine Gesichtszüge veränderte Mugler bis zur Unkenntlichkeit mithilfe plastischer Chirurgie. Letzteres war laut eigenen Aussagen einem Unfall beim Body Building geschuldet, der ihm unzählige Knochenbrüche im Gesicht bescherte. Eine Gelegenheit zur völligen Veränderung seines Äußeren, die er nur allzu gerne nutzte um mit der Vergangenheit abzuschließen. 2003 erklärte er dem Magazin Numéro Homme einen der Gründe für seinen völligen Rückzug aus dem Mode Business: „In den 70er, 80er und 90er Jahren war Mode noch ein Ausdruck der Kunst. Ab den 2000ern ging es nur noch um’s Marketing. Von den unmöglichen Deadlines zwischen den Cruise, Pre-Fall, ready-to-wear und Haute Couture Kollektionen gar nicht erst zu reden.“ Die wachsende Zahl von Designern, die große Modehäuser angesichts dieses wachsenden Pensums wegen kreativer Differenzen verlassen, gibt ihm bis heute Recht. Auch seinen in Vergessenheit geratenen ersten Vornamen ließ der Franzose wieder aufleben. Vorbei sind die Zeiten von Thierry, dem Designer – mit neuem Körper und neuer Persönlichkeit stieg Manfred Mugler aus der Asche des Modehauses empor. Nach unzähligen Nächten ohne Schlaf, durchgearbeitet, damit andere durch seine Mode Kraft und Stärke schöpfen konnten, wurde es für ihn Zeit, sich ausschließlich den eigenen Bedürfnissen zu widmen. Das exzessive Body Building sah er laut eigenen Aussagen als Rückkehr zu seinen sportlichen Wurzeln als Profitänzer.

Zurück ins Bühnenlicht

In den immer schneller werdenden 2000er Jahren drohte Muglers Vermächtnis in Vergessenheit zu geraten. Hilfe kam ausgerechnet von einem der größten Superstars der heutigen Zeit. Nachdem Popstar Beyoncé eines der Korsetts mit Stoßstangen und Scheinwerfern in einer Modeausstellung erblickte, entschied sie, Mugler als Creative Advisor für ihre „I Am…“-Welttournee 2009 zu verpflichten. Der Designer entwarf die Kostüme der Tänzer, allein 58 für Beyoncé selbst, fungierte als Regisseur für einige Sequenzen, darunter auch das Finale und gab Input zu Choreografie und Lichtdesign. Der Zeitschrift „Women’s Wear Daily“ erzählte er damals, dass er einen Look erschaffen wollte, der perfekt die Dualität von Frau und Kriegerin zeigen sollte, feminin und stark zugleich. Adjektive, mit denen man das gesamte Vermächtnis von Thierry Muglers erstem Leben als Modedesigner beschreiben könnte. Mugler, der Prophet des Futurismus, Mugler der sich erstmals traute, Frauen als Kämpferinnen zu kleiden und Erotik auf den Laufsteg brachte. Zur Eröffnung der Ausstellung in Montreal war der Designer selbst anwesend. Muskelbepackt im engen weißen Hemd zwar äußerlich nicht wiederzuerkennen, ließ er sein Lebenswerk noch einmal Revue passieren.


Die Ausstellung „Thierry Mugler – Couturissime“ ist noch 
bis 8. September 2019 im Montreal Museum of Fine Arts zu sehen und tourt danach um den Globus.
www.mbam.qc.ca 

 

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