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Tödliche Identitätskrise

Text: Jörg Schiffauer | Fotos: Press

Ein paar hingemurmelte Worte sorgten im März dieses Jahres für weltweites Aufsehen und Entsetzen. Am Ende eines Interviews für die sechsteilige HBO-Dokumentationsserie The Jinx: The Life and Deaths of Robert Durst, bei dem besagter Mr. Durst auf seine mögliche Verwicklung in einem Mordfall angesprochen wurde, verlässt dieser den Raum, um in einem unbeobachteten Winkel zu sich selbst zu sprechen: „What the hell did I do? Killed them all, of course.“ Er hatte jedoch übersehen, dass das Mikrofon nicht abgeschaltet war, seine oft wiederholten Dementis, mit denen er jede Schuld von sich wies, büßten stark an Glaubwürdigkeit ein.

Andrew Jarecki, Regisseur und Ko-Autor dieser Dokuserie hatte sich schon seit längerer Zeit eingehend mit dem aufsehenerregenden Leben von Robert Durst auseinandergesetzt. Dieser, Sohn eines New Yorker Immobilien-Tycoons, war 1982 erstmals in die Schlagzeilen geraten, als seine Frau Kathie, die beabsichtigte, sich scheiden zu lassen und nach einem Streit mit Durst den gemeinsamen Landsitz verlassen hatte, spurlos verschwand. Die Ermittlungen blieben ergebnislos, ebenso wie jene im Fall des Todes von Susan Berman im Dezember 2000. Die langjährige Vertraute Dursts war in ihrem kalifornischen Heim mit einem Schuss in den Kopf gleichsam exekutiert aufgefunden worden. Berman hatte in dem Aufruhr nach dem Verschwinden von Dursts Frau als seine Pressesprecherin fungiert, es wurde immer wieder vermutet, dass sie über Informationen verfügte, die ihn schwer belastet hätten – kurz vor ihrem Tod hatte er ihr 50.000 Dollar überwiesen. Robert Durst, dessen Verhalten im Verlauf der Jahre immer exzentrischere Züge annahm – um nicht erkannt zu werden, gab er sich als stumme Frau aus – wurde zudem 2003 freigesprochen, nachdem er seinen Nachbarn erschossen, die Leiche zerstückelt und im Meer entsorgt hatte. Die Geschworenen glaubten seiner Notwehr-Einlassung.

Bereits 2010 hatte Andrew Jarecki, der schon mit dem Dokumentarfilm Capturing the Friedmans einen anderen Kriminalfall aus ungewöhnlicher Perspektive beleuchte, eine beklemmende, faszinierende Interpretation der Geschehnisse um Robert Durst in Szene gesetzt. All Good Things ist eine fiktionalisierte Version, die jedoch auf akribischen Recherchen basiert und die Charaktere trotz geänderter Namen – Durst heißt dabei David Marks – klar erkennbar sind. Dabei entsteht das Psychogramm eines Menschen, dessen Schicksal wie bei einer griechischen Tragödie auf eine unabwendbare Katastrophe hin zuläuft. Alles beginnt Anfang der Siebzigerjahre mit einer großen Liebesgeschichte: David, der nichts mit dem elitären, nur auf materiellen Erfolg ausgerichteten Lebensstil seiner Familie anfangen kann, jedoch von seinem dominanten Vater (von Frank Langella mit schauriger, eiskalter Präsenz verkörpert) genötigt wird, im Immobilienimperium der Marks’ mitzuarbeiten, lernt Katie kennen, eine warmherzige junge Frau, die jedoch aus einer ganz anderen sozialen Schicht stammt. Doch die beiden scheinen zunächst trotz aller ökonomischen und emotionalen Unterschiedlichkeiten – David leidet schwer unter einem Trauma aus der Kindheit, als er den Selbstmord seiner Mutter mitansehen musste – ein ideales Paar abzugeben. Doch David verkraftet nicht, dass er unter dem Druck seines übermächtigen Vaters ein Leben führen muss, das seinen Vorstellungen diametral entgegengesetzt ist. Der Druck, niemals er selbst sein zu dürfen, hinterlässt deutliche Spuren: Davids Verhalten wird unnahbar und unberechenbar, was vor allem Katie zusehends zu spüren bekommt. Angesichts der Entfremdung der beiden reagiert David ähnlich wie sein Vater, er verweigert Katie, sich seinem Einfluss und seiner Kontrolle zu entziehen. Als sie sich dennoch trennen will, kommt es zur sich lange abzeichnenden Katastrophe. Ryan Gosling und Kirsten Dunst brillieren in ihren Darstellungen von David und Katie, der beiden Protagonisten, die geradezu schicksalhaft miteinander verbunden scheinen. Gosling versteht es, die Transformation einer gequälten Seele in einen gefährlichen Psychopathen auf ebenso eindringliche wie verstörende Weise deutlich zu machen.

All Beauty Must Die / All Good Things

Regie: Andrew Jarecki

Ascot Elite, 97 Minuten

Bereits auf DVD und Blu-ray erschienen

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