Flitterwochen stehen unter einem guten Stern, wenn der Mann ein Buch über Toxikologie liest, während seine Frau im Bildhintergrund fast in einen Abgrund stürzt – sie versucht eine seltene Pflanze von einer Klippe zu pflücken. Der Mann, sein Name ist Henry Graham, kommt mit den Giften nicht auf einen grünen Zweig, während die Frau, sie heißt Henrietta Lowell, zwar ziemlich lebensunfähig, aber deswegen nicht einfacher um die Ecke zu bringen ist. Der Grund, aus dem Henry sie gern los wäre, ist der naheliegende. Henrietta ist reich, Henry ist es nicht mehr. Sie soll ihn sanieren. Das ist die Prämisse in der Komödie A New Leaf (1971), der ersten Regiearbeit von Elaine May. Walter Matthau spielt den ewigen Junggesellen, und die Rolle des Mauerblümchens übernahm Elaine May gleich selber. Es war der famose Auftakt zu einer kurzen Blüte: 1972 folgte mit The Heartbreak Kid ihr Meisterwerk, 1976 Mikey and Nickey (mit der cassavetianischen Besetzung Peter Falk und John Cassavetes), und dann dauerte es schon eine Weile bis Ishtar (1987), mit dem sie ihre Karriere als Regisseurin buchstäblich in den Sand setzte – einer der großen Desasterfilme in Hollywood, ein Frontalunfall zwischen Kreativität und Buchhaltung, ein Riesenmissverständnis in vielerlei Hinsicht.
Elaine May war nie vergessen, in den letzten Jahre wurde sie mehrfach wiederentdeckt, es wurde viel über sie geschrieben, als Schauspielerin tauchte sie in einer tattrigen Woody-Allen-Serie auf: Crisis in Six Scenes. Die Jubiläumsausgabe der Viennale zeigt in einer Monografie ihre vier Filme. Das ist vor allem in einem Fall sehr verdienstvoll: The Heartbreak Kid war lange Zeit gar nicht so leicht zu finden. Doch der Reihe nach. Warum stehen die Flitterwochen in A New Leaf unter einem guten Stern, wenn der Ehemann sich mit Mordabsichten trägt? Nun, er wird eben nie richtig konkret, auch dann nicht, als er mit seiner angetrauten Nichtschwimmerin in einem reißenden Strom treibt, und sich die allerbeste Gelegenheit bietet. Walter Matthau ist ein Ereignis in diesem Film, ein Snob, in dem ein menschliches Wesen zu entdecken ist, zuallererst für ihn selbst, angeleitet ein bisschen auch von seinem „gentleman’s gentleman“ Harold, einer herrlichen Nebenfigur. Wer so einen
Bediensteten hat, muss ihn sich auch leisten können, deswegen muss Henry, nachdem er sich jahreslang mit seinen Kapitaleinkünften und seinen Ausgabe gröber vertan hat, überhaupt auf einen der ältesten Wege zur Schnellkapitali-sierung zurückgreifen: eine Geldheirat.
Es gab damals Streit zwischen der Regisseurin und dem Studio. Sie wollte Henry gemeiner und mordbereiter haben, die Produzenten wollten unbedingt ein Happy End, das durch einen prächtigen Sonnenuntergang geradezu übererfüllt wurde, aber auch durch die Aussicht auf eine gemeinsame Mittelklasseexistenz von Henry und Henrietta ein bisschen an Glanz einbüßte. Zwischen Originalität (May) und Schema (Paramount) stand es am Ende unentschieden.
Das Thema Flitterwochen taucht dann auch in The Heartbreak Kid wieder auf. Charles Grodin spielt einen Sportartikelverkäufer namens Lenny, der die ernsthafte Jüdin Lila heiratet: keine Trophäenehefrau, wie es seinen oberflächlichen Intentionen anscheinend entspräche, sondern der Typ, den die jüdische Mutter gutheißen würde. Sie fahren nach Miami, um das junge Glück zu feiern, und dort trifft Lenny auf Kelly (Cybill Shepherd), eine nahezu perfekte Verkörperung des weißen (also auch: nicht jüdischen) amerikanischen Traums. Er macht ihr sofort den Hof, muss dazu Lila quasi in ihrem Zimmer einsperren (ein grässlicher Sonnenbrand macht die Sache leichter und komischer). Das Begeisternde an The Heartbreak Kid ist, dass Lenny ein unglaublicher Trottel ist, und dabei in seinen Bemühungen um eine Blondine aus einer sehr typischen Midwestern-WASP-Familie so hilflos fast schon „automatisiert“, dass es wehtut, ihm zuzusehen. Und er hat sogar Erfolg. Elaine May spitzte die Sache noch zu, indem sie die Rolle der Lila, die wegen der Shiksa verlassen wird, mit ihrer eigenen Tochter besetzte. Das Ergebnis ist eine Komödie, die an die Schmerzgrenzen geht, und unbedingt Elaine Mays beste Arbeit. Sie gehört nicht zuletzt in eine Bewegung, die nie richtig eine wurde: eine jüdische Komik von Frauen, es wäre spannend, zum Beispiel Joan Micklin Silver in einen Kontext mit May zu stellen. Man würde damit das Monopol von Woody Allen und Jerry Seinfeld in diesem Bereich doch deutlich aufbrechen …
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