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Überlebenskünstler

Text: Günther Bus Schweiger | Fotos: Press

Es gibt gewisse Klischees über Frontmänner, die durchaus ihre Berechtigung haben: Als Gesicht der Band müssen sie den Platz im Mittelpunkt lieben und die Augen des Publikums anziehen. Klassisches Vorbild ist Mick Jagger, der als Dompteur der Massen fungiert und seit mehr als 50 Jahren seinen Körper in den Dienst der Besteigung des Mikrofonständers stellt. Aber natürlich auch der unvergleichliche Iggy Pop, der die Gewalt und Rohheit der Songs der Stooges mit der Malträtierung seiner Haut und dem Einswerden mit dem Publikum verstärkte.

Deerhunter_2.jpgUnd dann gibt es Bradford Cox, den Frontmann und Songwriter von Deerhunter, die sich Jahr für Jahr, Tour für Tour und Platte für Platte immer weiter ins Rampenlicht des rauen Popmarktes spielen. Seine lange hagere, immer etwas ungelenke Figur erinnert wesentlich stärker an Joey Ramone, als an die klassischen Frontberserker, von denen er sich auch durch eher sparsame Bewegungen auf der Bühne unterscheidet. Seine Unberechenbarkeit hat er zum Image kultiviert, aber diese lebt er nicht durch Unpünktlichkeit oder Aggressionen aus, sondern durch einmalige Aktionen, die hoffentlich bald ins große Buch der Rockgeschichte aufgenommen werden: Als ihn bei der letzten Tour ein lästiger Zwischenrufer aufforderte, den alten The-Knack-Hit „My Sharona“ zu spielen, tat er das tatsächlich. Und zwar eine Stunde lang. Dafür braucht man gute Nerven und muss vor allem von seinem eigenen Tun überzeugt sein. Und das muss man auch wenn man sich dem gitarrenlastigen Indiepop widmet, der im Lauf der Jahre durch Synthesizerklänge in Richtung bessere Verdaubarkeit und damit breitere Akzeptanz gelenkt wurde, denn leicht wurde es der Band nie gemacht. Todesfälle, Katastrophen und Unfälle verfolgten die Band von Anfang an und trotzdem machte Bradford Cox immer weiter.

Im Jänner erscheint nun das achte Album mit dem wunderbaren Titel „Why Hasn’t Everything Already Disappeared?“. Eine durchaus berechtigte Frage, die aber die Kraft des Lebens und den Willen zu überleben unterschätzt. Bradford Cox schafft es auf diesem Album, diese universale Sehnsucht nach Verständnis und Wärme so zu verarbeiten, dass er dem Erfolg einer Band wie etwa The National schon sehr nahe kommen wird. Und das hochverdient, denn der aufrechte Glaube an den Popsong geht auch bei all den Krisen, die ihn immer schon totgesagt haben, nicht unter. Mit dem Mut zum Breitwandformat und dem Festhalten an der eigenen Vision sichern sich Cox und seine Band nicht nur die eigene Zukunft, sondern auch den verdienten Platz auf den Festivalbühnen des nächsten Sommers.

Deerhunter_Album.jpgDeerhunter: Why Hasn’t Everything Already Disappeared?

(4AD / Beggars Group / Indigo)

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