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Verwandlung bedeutet Bewegung

Dagobert Peche verwandelte Ornament in Kunst – die Ausstellung „Peche Pop“ im MAK zeigt, wie sein Erbe bis heute weiterlebt.

Uli Aigner, OFFENE FORM 85 – Dagobert Peche und Ich – Die Überwindung der Utilität, 2018. Buntstift auf Papier, Leihgabe Uli Aigner © Michal Kosakowski

Ein leuchtender Blitz weist auf den mit Vorhängen drapierten Eingang zur Ausstellung. Der Vorhang trennt und verbindet zugleich – er verbirgt, enthüllt und schafft eine Bühne. Für Dagobert Peche ist er mehr als Dekoration, er steht für Verwandlung und Inszenierung. Darunter steht in schwarzen Lettern: „Peche Pop“. Die Ausstellung über den Wiener-Werkstätten-Künstler im Wiener MAK greift ein Motiv des ausgebildeten Architekten auf und widmet ihm die erste große Schau seit fast 25 Jahren. Der Vorhang wirkt wie eine Hommage an die Vergangenheit – eine Selbstreferenz? Erst 1915/16 hüllte Peche die Säulenhalle des damaligen Museums für Kunst und Industrie (heute MAK) in eine weiß-rosa Tüllwelt. Die damalige „Mode-Ausstellung“ der Wiener Werkstätte war Peches erste große Inszenierung im Rahmen der WW und wirkt auch heute in das Miniversum des österreichischen Künstlers hinein. Mit rund 650 Objekten aus unterschiedlichsten Kontexten und in vielfältigen Dialogen führt „Peche Pop“ bis zum 11. Mai 2025 durch Peches schillerndes Werk.

Ein Künstler der Metamorphose

1887 in St. Michael im Lungau geboren, besuchte Peche zunächst die Schule in Salzburg. Später studierte er, dem Wunsch seines Vaters folgend, an der Technischen Hochschule und der Akademie der bildenden Künste in Wien Architektur. Warum aus Peche letztlich kein Architekt wurde, lässt sich aus seiner dynamischen Art erklären: Er denkt Objekte und Materialien stets in Metamorphosen. „Peche Pop“ will diesem Aspekt gerecht werden. Plastizität verwandelt sich in Fläche, Materialien imitieren andere und zeitgenössische Kunstschaffende und Designer übersetzen Peches visuelle Sprache ins 21. Jahrhundert. In der Ausstellung wird klar: Peches Formensprache ist nie statisch. Sie kennt nur Bewegung. Man erkennt, wie seine stilistischen Assoziationen ein Jahrhundert des Designs vorprägten – von Hans Hollein und Vivienne Westwood bis zu Heimo Zobernig, und viele mehr.
Besonders spannend ist dabei, wie sich sein Werk über die Jahre verändert hat. Während seine frühen Entwürfe noch verspielt und beinahe naiv anmuten, wird seine Arbeit nach dem Ersten Weltkrieg kantiger, düsterer und von einer seltsamen Morbidität durchzogen. Doch genau diese Wandelbarkeit ist es, die Peche auszeichnet: Er bleibt nie bei einer Ästhetik stehen, sondern lotet immer neue Möglichkeiten aus. Seine Werke reflektieren gesellschaftliche Stimmungen, indem sie spielerisch Leichtigkeit mit Tiefe verbinden. Gerade in seinen späteren Arbeiten zeigt sich, wie sehr Peche Kunst als ständiges Experiment verstand – nie abgeschlossen, immer im Fluss.

Dagobert Peche, Porträt, 1920. Silbergelatineabzug © MAK

Humor, Luxus und das Unheimliche

Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte Peche 1918 aus der Schweiz nach Wien zurück. Ironischerweise wird er als Entwerfer von Luxuswohnungen selbst Opfer der Wohnungsnot. Schon zuvor haftete seinen ornamentalen Formen etwas Eigensinniges an, doch blieb sein Stil unbeschwert. Sein Salonschrank von 1913 etwa scheint auf seinen insektenartigen Beinen fast davonzulaufen – wie eine humorvolle Anspielung auf das Lebendige in der Form. Doch nach dem Krieg wird Peches Schaffen düsterer. Erst sein neues Leben als „Mumie“ erlaubt das Unheimliche, das sich nun auch in seinen Designs ausbreitet: „Mumie, die schon lange hat geruht in jenem Sarkophag, beklebt mit viel Papier, umwickelt mit den toten Blumen aus Brokat …“ So beschreibt Peche seine eigene Transformation. Die Formen seiner Werke werden härter, schärfer, radikaler. Die Dekore sind nicht mehr nur verspielt, sondern tragen eine fast surreale Qualität in sich. Seine Arbeiten beginnen, sich mit Motiven der Vergänglichkeit auseinanderzusetzen, während sie gleichzeitig luxuriöse Elemente bewahren. Gerade diese Mischung aus Eleganz und Düsternis macht Peches Werk so einzigartig und faszinierend.

Dagobert Peche, Plakat Spitzen der Wiener Werkstätte, um 1920
Flachdruck © MAK

Die Vielfalt der Zitate

Ein wiederkehrendes Motiv in Peches Werk ist das Ombré, das speziell in seiner letzten Schaffenszeit sein Design auszeichnet und zum visuellen Leitmotiv der Ausstellung wird. Leuchtende Spiegel, opulente Vorhänge mit farblichen Verläufen – hier wird Peches „Pop“ zum Programm. Die Schau führt durch verschiedene Räume mit Überschriften wie „Arkadien“, „Boudoir“, „Metamorphose“ oder „Unheimlich“ und betont dabei unterschiedliche Facetten und gleichzeitig Phasen seines Schaffens. Peches Sinn für Dekoration zeigt sich dabei nicht nur in seinen Möbeln, sondern auch in Stoffen, Tapeten, Zeichnungen oder Lampen. Die Ausstellung bringt diese Elemente zusammen und stellt sie in einen lebendigen Dialog mit Werken der Gegenwartskunst. Besonders eindrücklich ist, wie Peches Muster und Ornamente in neuen Kontexten auftauchen – sei es in skulpturalen Installationen, künstlerischen Interpretationen oder in der Mode, wo Designerinnen und Designer seine verspielten Strukturen weiterdenken.
Die Ausstellung beschränkt sich nicht auf Peches eigenes Werk, sondern zeigt, wie weit seine Ideen und Ornamente in die Gegenwart hineinreichen. Malereien, Skulpturen, Modeentwürfe und sogar ein Film veranschaulichen, wie seine Formensprache weiterlebt. Die Zitate anderer Künstler:innen erscheinen in unterschiedlichster Form: Manche sind subtile Anspielungen, andere übertrieben oder spielerisch verfremdet. Ein besonders grotesker Beitrag ist eine Videoarbeit, die einen Kerzenleuchter in menschlicher Form nachinszeniert. Körper winden sich ineinander, ihre Arme ausgestreckt, um die Kerzen zu halten. Die Inszenierung oszilliert zwischen surrealem Schaustück und unheimlicher Körperlichkeit, die Peches ornamentalen Ansatz in eine verstörende, surreale Dimension weiterdenkt. Diese Arbeit zeigt eindrücklich, wie Peches Formensprache selbst in zeitgenössischen Medien weiterlebt und neue Perspektiven auf seine Ästhetik eröffnet.

Dagobert Peche, Kaffeeservice, 1920–1923. Silber, Elfenbein.
Leihgabe bel etage, Wolfgang Bauer, Wien © bel etage, Wolfgang Bauer, Wien

Überhaupt beweist die Ausstellung, dass Peche nie nur Designer war – er war ein Denker der Oberfläche, jemand, der mit Strukturen und Illusionen spielte. Holz, das aussieht wie Stoff, Blech wie Keramik oder Metall wie Papier – Peche liebte es, Erwartungen zu unterlaufen. Durch seine eigenwilligen Entwürfe hinterfragte er herkömmliche Materialwahrnehmungen und betonte die Rolle von Täuschung in der Kunst und im Design.

 Ephemere Architektur

Trotz seines Architekturstudiums empfand Peche die Baukunst immer als zu starr und unveränderlich. Ihn interessierte das Ephemere, das Flüchtige. In „Peche Pop“ wird auch diese Dimension seines Werks sichtbar: Architekturzeichnungen, die fantastische, fast unmögliche Entwürfe zeigen, stehen neben ornamentalen Dekors, die ganze Räume verwandeln. Diese Liebe zur Vergänglichkeit spiegelt sich auch in seinem Umgang mit Materialität wider.
1923 starb Dagobert Peche im Alter von nur 36 Jahren an einer Krebserkrankung. Seine Schaffensperiode war vergleichsweise kurz, doch sein Erbe ist ungebrochen lebendig. „Peche Pop“ zeigt nicht nur sein Werk, sondern auch dessen Nachhall. Die Ausstellung macht deutlich: Dagobert Peche war nicht nur ein herausragender Gestalter seiner Zeit, sondern auch ein Vordenker des Designs – einer, dessen Formen, Farben und Konzepte bis heute nachwirken.

 

PECHE POP
Dagobert Peche und seine Spuren in der Gegenwart
MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst
Stubenring 5, 1010 Wien
bis 11. Mai 2025
www.mak.at

 

 

| FAQ 79 | | Text: Ania Gleich
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