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Viennale 2013. Labor der Empfindungen

Text: Bert Rebhandl | Fotos: Viennale

Welche Gemeinsamkeit gibt es zwischen einer Gondelfahrt in Nepal und einer Autofahrt in Bukarest? Prinzipiell natürlich einmal keine, abgesehen davon, dass in beiden Fällen ein Stück Weg zurückgelegt wird. Doch bei der Viennale 2013 gibt es noch ein weiteres verbindendes Motiv: In beiden Fällen geht es um ein klassisches Motiv der filmischen Darstellung, um die maximale Länge einer Einstellung nämlich, die im vordigitalen Zeitalter genau definiert war. 11 Minuten hatten auf einer Rolle Platz, die in das Magazin der handelsüblichen Kameras passte. In Corneliu Porumboius Cand se lasa seare peste Bucurest sau Metabolism bringt ein Filmemacher am Abend eine Schauspielerin nach Hause. Sie ist eine Debütantin, am nächsten Tag soll sie eine Nacktszene spielen, und wie um dies zu rechtfertigen, erzählt er ihr während der Autofahrt davon, dass ihm am Kino immer diese materielle Begrenzung wichtig war: 11 Minuten, das macht Präzision erforderlich, und es braucht für alles gute Gründe. In Manakamana, einem Dokumentarfilm von Stephanie Spray und Pacho Velez, sehen wir Aufnahmen aus einer Gondel, die in Nepal zu einer bedeutenden Hindu-Kultstätte führt. Die beiden Filmemacher ließen jeweils eine Rolle 16mm-Film durchlaufen; dadurch entsteht eine Zeitspanne unverwandter Beobachtung, ein Raum für den Zufall, das Nebensächliche und Vorgänge diesseits des Ereignishaften, also für all das, was man von einer Gondelfahrt erwartet. Die soll einen ja einfach nach oben bringen, passieren soll gerade nichts.

Dass jemand diese beiden Filme miteinander in Zusammenhang bringen kann, beruht auf einer typischen Festivalerfahrung: Komprimierte Rezeption lässt die Assoziationen wuchern, was sonst gezielte Wahrnehmung eines einzelnen Werks ist, wird nun zu der Beobachtung eines Zusammenhangs, der im Falle der Viennale immer noch den emphatischen Titel „Kino“ trägt. Längst ist das Kino in die digitale Phase eingetreten, das hat verschiedenste Auswirkungen, für ein Festival aber ist die wichtigste: Es verliert an Exklusivität, denn Filme sind heute auf verschiedensten Wegen erreichbar, sie gehen nicht mehr so schnell verloren, müssen sich aber auch in einem Wust an Information behaupten. Das Festival hebt für einen kurzen Moment etwas hervor, stiftet neue Überlieferung, und es setzt in Beziehung. Die Viennale hat es unter ihrem langjährigen Direktor Hans Hurch zu einiger Meisterschaft bei dem Balanceakt gebracht, dabei den unterschiedlichsten Interessen gerecht zu werden.

Man kann das auch an dem kommenden Programm wieder sehr schön sehen. Rund um Manakamana gibt es zum Beispiel ein ganzes Special, das unter dem Titel „Wilde Ethnographie“ dem Harvard Sensory Lab gewidmet ist. Das ist ein Verbund junger Dokumentarfilmer, die mit stark konzeptuellem Interesse arbeiten. Das war schon im Vorjahr an Leviathan deutlich zu sehen, dem filmischen Elementargedacht über Fischer im Westatalantik, in dem Lucien Castaing-Taylor und Verena Paravel das Wasser nicht zuletzt durch den Ton so bildplastisch werden ließen wie nie zuvor. „Wilde Ethnographie“ ist ein zeitgerechtes Special, bei dem das Festival wieder einmal ein wenig Laborcharakter bekommt, wie es sich auch gehört, wenn man es mit einer amerikanischen Elite-Universität zu tun hat.

Corneliu Porumboiu hingegen fällt ins Hauptprogramm, Abteilung Spielfilm, in der wie gewohnt die wichtigsten Entdeckungen der Saison zusammengefasst werden. Einige Namen, auf die sich hier zu achten lohnt: David Gordon Green, Ramon Zürcher, Serik Aprymow. Und dass die Viennale die beiden hochkomplexen, um nicht zu sagen: hermentischen Science-Fiction-Experimente von Shane Carruth, Primer (2004) und Upstream Colour (2013), zusammenfasst, zeugt auch davon, dass die Programme nicht für die Ewigkeit sind, sondern dass sich manchmal interessante Positionen erst nach einer Weile zu erkennen geben. Mit nur zwei Filmen hat Carruth sich als Visionär so weit aus dem geläufigen Erzählkino hinauskatapultiert, dass es hilfreich ist, diese beiden sich auch gegenseitig erhellen (oder verdunkeln) zu lassen.

Wenn das Harvard Sensory Lab eher die Anhänger des strukturalistischen Films begeistern wird, so wird die Mitternachtsreihe „Asian Delight“ ein anderes Publikum finden. Kuratiert von Andreas Ungerböck und Leo Moser, einst Betreiber des legendären Movie-Kinos in Wien, finden hier eine Reihe von asiatischen Genrefilmen aus unterschiedlichen Perioden den Weg auf die große Leinwand: ein Zeichentrickklassiker wie The Monkey King oder ein Spektakel wie Journey to the West: Conquering the Demons. Das Besondere an „Asian Delight“: Sie werden in 3D gezeigt, und vielleicht findet sich hier eine neue Legitimation für diese Präsentationsform, mit der die meist nur notdürftig hochgerechneten US-Blockbuster das Publikum ja eher an der Nase herumführen, auf der die unbequeme Brille sitzt.

Ein ganz anderes Spektakel bildet hingegen ein Doppelprogramm, das durch schiere Dauer beansprucht und dafür mit einem erweiterten Begriff von Serie belohnt. Jacques Rivettes restauriertes Großwerk Out 1 läuft in einem Tandem mit Louis Feuillades Tih-Minh (1918) – wer da hingeht, geht der Welt für eineinhalb Tage verloren, wird aber tief in die Substanz des Kinos eindringen. Zwar gibt es Out 1 seit einer Weile auch auf DVD, doch stammt es eben aus einer Zeit, in der unklar war, welche Formate das Fernsehen, das Kino (inzwischen rechnen wir auch die Kunst hinzu) in Hinkunft noch aufnehmen könnten. Bei Out 1 erwies sich, dass es für alle diese Kontexte zu speziell war, es brauchte eben bis 2013, um diesen Schatz wieder zu heben.

Darüber hinaus bietet die Viennale eine Reihe weiterer Specials, darunter die vertraute Kooperation mit dem Filmarchiv Austria, das sich unter dem Titel „Realitäten“ mit Wochenschau-Berichten von den zehner bis in die vierziger Jahre beschäftigt. Zwei Regie-Profile gibt es von John Torres (Philippinen) und Gonzalo García Pelayo (Spanien).

Und dann gibt es noch die Veranstaltung, mit der die Viennale traditionell sich selbst Konkurrenz macht: Die große Retrospektive im Filmmuseum, die in diesem Jahr Jerry Lewis gewidmet sein wird. Der inzwischen hochbetagte Komiker wird die Reise nach Wien nicht machen können, aber auch ohne seine Anwesenheit werden seine Filme leuchten, und zwar in allen synthetischen Farben, die das Kino in jener Periode erfunden hat, in der das Fernsehen ihm die erste große Kränkung zufügte. Mit Jerry Lewis setzt die Viennale ziemlich konsequent ihre Politik fort, die Meister der klassischen französischen Cinephilie durchzubuchstabieren. Zugleich schafft das Werk von Lewis ein historisch geschärftes Bewusstsein für die vielen Möglichkeiten des Komödiengenres, das in Amerika ja seit Jahren schon einen Höhepunkt nach dem anderen hervorbringt – hier grüßt also ein „goldenes Zeitalter“ ein anderes.

 

VIENNALE 2013

24. Oktober bis 6. November

Programm online ab 15. Oktober

www.viennale.at

Retrospektive Jerry Lewis: Ein Programm von

Viennale und Österreichischem Filmmuseum

18. Oktober bis 24. November

www.filmmuseum.at

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