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Virtuose Leere

Text: Oliver Stangl | Fotos: Kunstforum Wien

Das Kunstforum Wien widmet den Landschaftsbildern Gerhard Richters eine umfangreiche Schau.

Gerhard Richter, Venedig (Treppe), 1985. Öl auf Leinwand, 50 x 70 cm Art Institute of Chicago, Schenkung Edlis Neeson Collection © Gerhard Richter 2020 Foto: bpk/The Art Institute of Chicago/Art. Resource, NY

Es ist in der tat ein Highlight, dass das Kunstforum Wien zum Herbstbeginn in die Bundeshauptstadt holt: Denn der Name, der neben dem schlichten Ausstellungstitel „Landschaft“ steht, ist kein Geringerer als der Gerhard Richters. Richter, 1932 in Dresden geboren, gehört zu den bedeutendsten – und teuersten – Künstlern der Gegenwart; das Werk, das er seit den sechziger Jahren vorgelegt hat, fasziniert Kritik und Sammler aufgrund der Diversität seiner Methoden und der Komplexität, mit der er die Wirklichkeit und deren Wahrnehmung zu hinterfragen versteht. Fotorealismus findet im Werk des Künstlers dabei ebenso Platz wie Abstraktion oder Objektkunst. Im „Kunstkompass“-Ranking belegte Richter von 2004–2008 und von 2010–2018 den ersten Platz. Seine Arbeiten erzielen längst Unsummen: So kam das Werk „Abstraktes Bild“ 2015 bei Sotheby’s für 41 Millionen Euro unter den Hammer.

Inwieweit solche Beträge von einer Pervertierung des Kunstmarkts zeugen, muss an anderer Stelle diskutiert werden – sicher ist, dass die Landschaftsbilder, die noch bis Mitte Februar im Kunstforum gezeigt werden, zu den spannendsten Arbeiten im Werkkörper Richters gehören. Da verwundert es durchaus ein wenig, dass es sich bei der Wiener Schau um die weltweite erste Richter-Ausstellung handelt, die sich dieses Genres in aller Ausführlichkeit annimmt (Richters Website führt 124 Landschaftsbilder an). Der zeitliche Rahmen der rund 150 Arbeiten reicht dabei von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart und demonstriert die Meisterschaft, mit der Richter diverse Ausdrucksmöglichkeiten beherrscht: Ölgemälde und Zeichnungen sind ebenso vertreten wie Fotoarbeiten, Drucke oder Objekte; Hauptwerke werden um selten Gezeigtes ergänzt.

2_Richter.jpgGerhard Richter, Ruhrtalbrücke, 1969. Öl auf Leinwand, 120 x 150 cm

Privatsammlung Courtesy Hauser & Wirth Collection Services © Gerhard Richter 2020

Foto: Stefan Altenburger Photography Zürich

Die Glanzstücke der in fünf Abschnitte gegliederten Schau – als Kuratoren fungierten Hubertus Butin und Lisa Ortner-Kreil – machen dabei jene Landschaften aus, die Richter auf Basis von Fotomotiven gestaltet hat. Trotz ihrer fotografischen Ästhetik erinnern diese Bilder nicht von ungefähr an die Landschaften des großen romantischen Malers Caspar David Friedrich (1774–1840): Laut Richters eigener Aussage spiegle sich darin „Sehnsucht“. Weiters bezeichnet er diese Bilder als „Kuckuckseier“, da sie trotz romantischer Aura nicht mehr an die Tradition des frühen 19. Jahrhunderts anknüpfen können. Merkmale von Friedrichs Malerei, darunter ein tiefer Horizont oder ein hoher Himmel, werden in Richters Arbeiten zitiert und gleichzeitig konterkariert; Richters Landschaften erscheinen gleichfalls oft menschenleer, aber nicht mehr unberührt. So wirkt das titelgebende Bauwerk im Bild „Ruhrtalbrücke“ (1969) wie ein moderner Einbruch in ein romantisches Gefüge.

Mit anderen Spannungen arbeiten Richters abstrakte Übermalungen, die ebenfalls in der Schau zu sehen sind: Auf Landschaftsge-mälde oder Fotografien wurde Ölfarbe aufgetragen, wodurch es zu einer paradoxen Verbindungen zweier Wirklichkeiten kommt. Und falls sich der eine oder andere Betrachter angesichts der stimmigen Leere von Richters Landschaften unfreiwillig an das heurige Frühjahr erinnert fühlen sollte, hat die Kunst das Leben nicht imitiert, sondern vorweggenommen.

Gerhard Richter: Landschaft

1. Oktober 2020 – 14. Februar 2021

Kunstforum Wien

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