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Visueller Dialekt

Text: Ballhausen Thomas | Fotos: Press

Der 1955 geborene Anton Corbijn ist das, was man wohl getrost einen Klassiker nennen kann: Seit dem Beginn seiner Karriere vor mittlerweile fast vierzig Jahren hat er sich einen Stil, eine bildliche Handschrift erarbeitet. Angesiedelt zwischen klassisch anmutender Porträt- und reflexiver Dokumentarfotografie hat er immer wieder (aber eben auch: immer wieder neu) auf ein mitunter paradox anmutendes Spiel mit Demaskierung und Verkleidung, mit Inszenierung und Verweigerung gesetzt. Doch stets traf und trifft Corbijn den richtigen Zugriff, seine Aufnahmen zieren Plattencover und Werbekampagnen, seine fotografische Arbeiten beinhalten einen Effekt der Wiedererkennbarkeit und der Erinnerung – auch hier wird der erwähnte Klassiker spürbar. Die Liste seiner Motive ist dementsprechend lang, namhaft und vielfältig: Neben U2, Depeche Mode, The Rolling Stones und Nick Cave finden sich hier auch Arcade Fire, Tom Waits, Johnny Depp, R.E.M. oder Clint Eastwood. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang aber vor allem, dass Corbijns umfangreiches Werk nicht nur eine Arbeit zu den Erfassten ist, sondern auch zu einem Arbeiten mit den Porträtierten wird: Es ist sein visueller Dialekt der fotografischen Sprache, vielleicht sogar der von ihm gewählten Bildsprache generell, die den Betrachter glauben macht, der Wirklichkeit von Prominenz, dem Ikonenhaften von Stars momenthaft nahegerückt zu sein. In diesem Sinne, der sich auch konsequent auf Corbijns Video- und Filmarbeiten übertragen lässt, laden seine Fotografien neben dem direkten Angebot auch zu einer Relektüre unter kunstgeschichtlichen Verläufen ein, die ihm durchaus bewusst sein dürften: Im kunsthistorisch langen 19. Jahrhundert steht die Aufgabe des Fotografen und der Fotografie, verkürzt dargestellt, in direktem Zusammenhang mit der Vorstellung, die Wirklichkeit nahezu automatisch erfassen zu können (und auch: zu wollen). Im Verlauf der weiteren Entwicklungen wird der Ausdruck des jeweils tätigen Individuums in der Diskussion stärker in den Vordergrund gerückt; schließlich wird eine mitunter brüchige, vorsätzlich fragmentierte Erfassung mit den Mitteln der Fotografie aus einer spezifischen Position verhandelbar. Diese Aufwertung von Sinnlichkeit und auch Sensibilität wird ab den 1960ern von einer zweifachen Institutionalisierungstendenz begleitet: einerseits als Etablierung der Fotografie als künstlerische Ausdrucksform, andererseits als verstärkt nachweisbare Aufnahme von Fotografien in Sammlungen, Ausstellungen – und die Validierung dieser neuen Objekte durch den Kunstmarkt.

Die Aufnahme von Corbijns Arbeiten eben in solche Kollektionen oder die aktuellen Ausstellungen in den Niederlanden sind nicht nur eine Anerkennung seines beeindruckenden Werks; sie sind darüber hinaus auch ein deutlicher, positiv zu lesender Beleg für die Stimmigkeit dieser Annahmen. Eine Verbindung zwischen diesen Verläufen lässt sich aus einem Gedanken der Kunsttheoretikerin Rosalind Krauss’ ableiten: Im 19. Jahrhundert ist ein empirischer Fotodiskurs dominant – der die Fotografie stärker als danach der Wissensproduktion anderer Disziplinen unterordnet und erst retrospektiv eine kunstwissenschaftliche Aufwertung erfahren hat – der im Lauf des 20. Jahrhundert von einem genuin ästhetisch akzentuierten Fotodiskurs abgelöst wird. Es ist also vielleicht auch eine Form von fotografisch vermitteltem Wissen, das Corbijn zu präsentieren scheint. Der Schritt ins Narrativ, in die Welt der Bewegtbilder unterstreicht diese Option der Auslegung noch: Videoclips für Depeche Mode, Nirvana oder Johnny Cash sind perfekte Inszenierungen des Einblicks und zugleich immer Teil einer Strategie des Präsentierens. In der erzählerischen Mikroform des Musikvideos erweitert Corbijn den in den Fotografien arretierten Raum der Begegnung und der Rezeption. Gleiches lässt sich auch für die Spielfilme sagen, zehren doch auch der Curtis-Biopic Control (2007), der Thriller The American (2010) und die Literaturverfilmung A Most Wanted Man (2014) von der Vorstellung einer direkten Innenansicht. Mit seinem jüngsten Spielfilm Life (2015) setzt Anton Corbijn seine dahingehende Bezugnahme strategisch stimmig und im Bewusstsein für den eigenen Status weiter fort: Im Zentrum steht ein Fotograf, der James Dean ablichten soll. Hier schließt sich der sprichwörtliche Kreis: Full Circle.

 

Ausstellungshinweis: Die umfangreiche Schau, die bis Ende Juni im Fotomuseum Den Haag zu sehen war, ist ab 14. November im C/O Berlin zu bewundern. Neben vielen bekannten Werken sind im Rahmen der Ausstellung erstmals auch Arbeiten aus Corbijns Archiv einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.

 

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