Michael Höpfner studierte an der Akademie der Bildenden Künste Malerei und Grafik sowie an der Glasgow School of Art am Department for Fine Art Photography. Der Fokus auf dem Gebiet der Fotografie entstand gleich zu Beginn seines Studiums. 2010 war er für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst in Berlin nominiert. Derzeit pendelt der Künstler zwischen Berlin und Wien, wo er an der Akademie für Bildende Kunst unterrichtet. Aber die hier angeführten äußeren Umstände sind (vor allen Dingen für Michael Höpfner selbst) nur Staffage. Sein Schaffen ist ebenso wie die Person von Reduktion bestimmt. Das Entfliehen des Alltags und die Veränderung der eigenen Wahrnehmung und Blickwinkel sind für seine Arbeiten bedeutsam. Die Erweiterung des Erfahrungsschatzes kann aber auch anders erreicht werden, wie seine zwischenzeitliche Tätigkeit als Sozialarbeiter mit autistischen und schizophrenen Jugendlichen belegt. „In dieser Zeit habe ich gelernt, dass woanders auch mitten in Wien sein kann.“ Schon früh suchte sich der Student Höpfner andere Sehweisen zu erschließen. So entschied er sich einmal, nicht mit dem Zug nach Salzburg zu fahren, sondern von Wien aus „hinzugehen“. Es dauerte neun Tage. Das Ergebnis war die völlige Abänderung des bisher Bekannten, die sonst gewohnte Strecke erschloss sich ihm neu und anders. Sein Streben nach Minimierung lässt sich vor allem bei seinen Reisen in entfernte Länder und Gegenden verwirklichen. Er trennt nicht nur in seinen Fotografien und Installationen das Wesentliche von unwichtigem Ballast, sondern seine Konzentration liegt auch als erzählendes Gegenüber darauf. Kein Satz, keine Information ist zu viel. Alles Sinnvolle findet Erwähnung, alles andere bleibtungesagt.
Seit 1995 mehren sich seine Aufenthalte in Nordindien, Ladhak, Nepal, Tibet, China, Südkorea, Schottland, Island, Senegal, Osttürkei, Lybische Sahara und verschiedenen anderen Teilen Europas. „Das zu Fuß gehen in reduzierter Form, also nur mit Rucksack, Zelt, Schlafsack, Tagebuch und Kamera war für mich die Form Neues zu erkunden!“ Wobei Höpfner zugibt, dass er oft oder meist illegal unterwegs ist, da – wie zum Beispiel in Tibet – das Verlassen der Hauptstadt Lhasa für Touristen verboten sei. Um solche Verbote kümmert er sich wenig; das Spannende ist das Ausgestoßensein, die Abtrennung von Sprache, Kultur und dem bekannten Lebensraum. Die physischen und auch psychischen Erfahrungen und Belastungen, die mit einem mehrmonatigen Aufenthalt ohne viel Kontakt zur der für den Normalverbraucher gewohnten Außenwelt, sind vielfaltig. Der Versuch abzubilden, ohne allzu viel Persönliches preiszugeben, gelingt Höpfner in den Bildern der Ebenen, in denen er das Moment der Unsicherheit einfängt und so Anspannung anders und doch erlebbar wiedergibt.
Die Erzählungen von Einsamkeit, Isolation sowie Naturschönheit werfen die Frage auf, ob er ein Misanthrop sei. Zuerst fällt die Antwort ausführlich ausweichend aus, um schließlich das anfängliche Ausweichmanöver mit einem lächelnden „ja“ abzurunden. Obwohl sich die Frage zwingend aus seiner künstlerischen Reisetätigkeit heraus stellte, kam das Zugeständnis doch überraschend. Denn der Mensch Höpfner wirkt keineswegs misanthropisch, vielmehr überlegt und bescheiden. Auf das Wesentliche fokussiert. So entstehen auch seine Arbeiten, die er analog aufnimmt. „Es ist das einfachste Medium – minimalistisch. Ich arbeite mit einer Leica oder einer Hasselblad. Mich interessiert der direkte Zugang, ohne Umwege.“ Die ana-loge Fotografie war das frei gewählte Medium, welches sich für seine fotografischen Reisen als einzig geeignet herausstellte, da dabei auf jeden Komfort verzichtet wird. Auf Stromversorgung kann und will er nicht angewiesen sein. „Pro Reise habe ich nicht mehr als 20 Rollen Film dabei. Das sind etwa 750 Fotos, das muss für mindestens drei Monate reichen. Das bedarf eines selektiven Blicks, das erzwingt nahezu eine ruhige Leitung des Blicks. Ich möchte mit den Bildern Ruhe vermitteln.“
Zum Kunstbetrieb ganz allgemein befragt, meint der 39-jährige lapidar, dass er froh sei, die mühsamen 20er hinter sich zu haben, das Label Junge Kunst hätte ihn immer irgendwie befremdet. Das unbedingte Streben nach schnellem Erfolg und Geld würde zu sehr Visionen und Utopien berauben. Außerdem funktioniere das nur in einem zeitlich begrenztem Rahmen. Höpfner erwähnt, auf den Kunstmarkt angesprochen, den verurteilten Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi, dessen „Methode“ er spannend findet: „Er hat sich an den Großen der Moderne versucht und etwas geschaffen, das zwar einerseits natürlich kriminell ist, aber andererseits hat er so den Kunstbetrieb ,vorgeführt. Erst spät wurde die Tatsache der Falsifikation bekannt. Die Provenienzforschung wurde hier wohl nur gestreift. Und außerdem ist in so einem Fall klar erkennbar, wie der Kunstmarkt funktioniert.“ Der Hype, der hier passierte suchte tatsächlich seinesgleichen: Die Werke, die Beltracchi schuf, seien jene, die seine Vorbilder noch hätten malen müssen – so malte er eben die Bilder, die seiner Meinung zufolge im jeweiligen Œuvre fehlten. Beltracchi beobachtete die Gier des Kunstmarktes und wusste diese geschickt für sich auszunutzen. Höpfner schließt diesen erzählerischen Ausflug mit der Aussage, dass in den letzten zehn, fünfzehn Jahren die Globalisierung im Kunstbetrieb die Arbeit junger Künstler maßgeblich beinflusste – die immer mehr in die Höhe getriebenen Preise einzelner Kunstwerke stellen gesellschaftliche Entwicklungen in Frage.
Zurück zur Person Michael Höpfner – am Ende des Studiums stellte sich bei seinen Mitkollegen der Wunsch nach einem eigenen Atelier ein. Nicht so bei ihm. „Ich wollte kein Atelier. Meine Argumente waren: Ich arbeite lieber im Freien, oder im Zelt.“ Die Gegenposition als zentraler Begriff – und das obwohl er selbst sagt, dass es heute schwer ist, eine solche zu finden, eine Gegenposition, die nicht schon nach wenigen Überlegungen sich als widerlegbar herausstellt. So sei auch die Abkehr von den Kulturleistungen der westlichen Welt, seine Flucht vor der Zivilisation nicht neu, aber es sei eben seine Herangehensweise. Als zu Fuß Gehender ist man angreifbar, die Langsamkeit hat auch aggressives Potential: in Tibet ist man deswegen immer noch Teil der Tourismusindustrie, auch wenn man sich abseits der übli-chen Pfade bewegt. Höpfners besonderes Interesse liegt in den Wüstengegenden. Früher war die Wüste geradezu romantisch konnotiert und mit Vorstellungen aufgeladen; als er seine ersten Bilder von wüsten Steinlandschaften ausstellte, war er überrascht, in welch politischen Kontext man seine Fotos stellte. „Es war die Zeit während des Irak-Krieges … die vordergründigsten Fragen, die die Bilder aufwarfen waren: ,War das in …?“ Wüsten sind oftmals Grenzgebiet und gleichzeitig Pufferzonen zwischen unterschiedlichen Kulturen. „Ich dachte, ich ziehe mich in die Wüste zurück, weg von allem Zivilisatorischem, nur was ich dort zum Beispiel unlängst auf einer Wanderung im Nordwesten Chinas – für mich überraschend – fand, waren u.a. Abbaugebiete von wertvollen Erden und Metallen, die für die Herstellung von Smartphones von Bedeutung sind!“
Die Beobachterposition und die aus dem Gehen heraus entstehende Langsamkeit ist wichtig für seine Arbeiten. Höpfner sieht sich nicht als politischer Künstler. Kunst hat jedoch immer auch politische Ebenen. Das kommt von selbst hinzu, sagt er, auch wenn man die Bilder für sich stehen lässt, und nicht erklärt. „Die Bilder sollen ein Geheimnis bleiben, auch wenn sie natürlich eine Geschichte haben, die Geschichte, der abgebildeten Landschaft oder ihrer Entstehung.“ So wie auf drei großformatigen Prints, die hoch oberhalb von Lhasa aufgenommen wurden. Es scheint, als ob die dunklen Schatten auf den drei Fotos Menschen wären. Es handelt sich jedoch um aufgeschichtete Steine, welche die Tibeter ebenso wie ihre T-Shirts dort zurücklassen. Dies ist ein symbolischer Akt der Reinigung bevor sie ins Tal hinabsteigen. Sie lassen ihr bisherigen Leben zurück und gehen gereinigt in ein – wenn man auf die Stadt hinuntersieht – zweifelhaftes Neues. Auch Höpfner selbst erlebte nach dem Abfotografieren eine Art Katharsis, da er beim Abstieg der Staatssicherheitspolizei in die Arme lief und ein unangenehmes mehrstündiges Verhör über sich ergehen lassen musste. „Der politische Inhalt wird vom Betrachter in die Bilder miteinbezogen. Interessant zu sehen war für mich, dass das gedanklich mit einem Haufen Steine genauso gut funktioniert.“
Man will als Künstler den Besucher bei einer Ausstellung anleiten, den Blick in Bahnen lenken, aber ohne sich aufzuzwingen, so Höpfner. Während es bei den großformatigen Prints nur wenig Information gibt, erschließen sich andere Arbeiten des Künstlers dem Betrachter einfacher und ursächlicher. Die Aneinanderreihung von Negativen, die als Ganzes besehen einen kleinen Film oder eine Serie ergeben, bringen so den Fotografen mit dem Besucher viel direkter in Kontakt. Diese Form der Interaktion, bei der man als Besucher durch die veränderte Körperhaltung anders „sieht“ als in der gewohnten Haltung vor einem Bild an der Wand, lässt eine weitere Ebene des Betrachtens zu. Das Anschauen der kleinen Negative, lässt die Möglichkeit offen, wie nahe man den Arbeiten kommen mag. Diese kleinen Bilderserien wirken dreidimensional und ziehen einen regelrecht in das Abgebildete hinein. Die Entscheidung liegt beim Besucher, ob er den Blick des Fotografen einnehmen will oder einen anderen, subjektiven wählt.
Die Zeltplätze der Nomaden beeindruckten den Künstler nachhaltig, das Zelt als globale Architekturform steht Pate für manche Skulptur und Installation. Nicht nur das Äußere dieser sogenannten Schwarzzelte sei faszinierend, sondern auch das Material, welches durchlässig für Wind, Licht und Wärme ist, während das Gewebe bei Regen aufquillt und absolut dicht ist. Diese begehbaren Installationen, die wie Skelette im Raum stehen, wirken, als wären sie erst im Entstehen bzw. bieten die Möglichkeit, der Veränderung – der Gedanke, dass etwas war oder sein wird. (Michael Höpfner: Outpost of Progress, Spector Books Leipzig, 2011)
Auf die Frage, warum er in vielen seinen Fotografien auf das Abbilden des Horizonts verzichtet, antwortet Höpfner: „Das Weglassen ist ein Spiel mit der Realität. Durch den Wegfall eines Horizonts fällt es in manchen Bildern schwer, festzumachen, welche Größe das Abgebildete hat – aber es beinhaltet auch ein philosophisches Moment. Der Horizont war oder ist für die Sesshaften von zentraler Bedeutung, da am Horizont mögliche Feinde auftauchen können. Der Horizont muss beobachtet werden, um Gefahren rechtzeitig als solche zu erkennen. Für Nomaden ist der Horizont nicht wichtig. Sie blicken nur auf das sie nahe Umgebende.“ Während seiner wiederholten Reisen in Wüsten und gesellschaftliche Randgebiete erfuhr Höpfner große Gastfreundlichkeit. Die Aufnahme bei den Bewohnern – ganz egal wo – sei immer herzlich. Welches Bild die Nomaden von ihm haben, sei schwer zu sagen, jedoch: „Ohne Pferd oder Auto stelle ich in diesen Gegenden eher das Bild eines erbärmlichen Landstreichers dar. Wenn ich mein Zeit aufbaue, lachen alle, da es zu klein für eine Hundehütte ist.“ Im Gepäck des Künstlers befinden sich Fotos von Familie und Freunden sowie ein paar Postkarten von Wien. Wichtig sei es, den Einwohnern etwas zu vermitteln, das sie auch kennen. Das Bekannte und Gewohnte, wenngleich in anderer Form: Kirchen, Tempel, Pferde … „Die Menschen wollen wissen, wer man ist, woher man kommt. Es geht um Einordnung und da ich die Sprachen nur sehr rudimentär beherrsche, eignen sich Bilder hervorragend, um mich vorzustellen. Einmal habe ich erlebt, dass sich die Runde meiner Gastgeber zwei Stunden lang eingehend über eine Postkarte der Lipizzaner in der Hofreitschule unterhalten haben.“
Die (teils lebens)feindliche Situation in der Wüste stellt immer neue Herausforderungen. Oft werde ihm die Frage gestellt, warum er nicht „hier geht“, anstatt irgendwo anders hin zu reisen, in ferne Länder. Was er tue, sei doch auch in Österreich möglich. Die Einsamkeit, die man in Asien erleben könne, sei eine andere. Auch hier begegnet Höpfner erneut der Begriff der Gegenposition, er erinnert daran, dass die Wüste seit jeher ein Ort der Läuterung war. Das gibt es in allen europäischen Religionen. Die Wüste ist Teil unserer Kulturgeschichte. Berge, Wüsten sind dünn besiedeltes Territorium. Die romantisch verklärten Vorstellungen werden oft schnell gekippt, wie die großformatigen Prints Höpfners zeigen. Die Bilder widersprechen auf sehr einfache und direkte Weise der Idealisierung harmonisierter Natur. Das Schöne und das Schreckliche liegt nah beieinander. Höpfner hat auf seinen Wanderungen nicht nur beeindruckende Landschaften gesehen, sondern auch Umweltzerstörung, Elend, soziale Probleme. Die Konfrontation mit dem „anderen“ als Thema seiner Arbeiten. Die eigenen Strapazen werde klein und nichtig, aus diesem Gefühl entsteht die Ruhe, die im nächsten Moment wieder kippen kann. Die Frage „Was mache ich hier?“ stellt sich unweigerlich – daraus entstehen Momente, die ein stilles Ankämpfen gegen die Geschwindigkeit unserer Zeit ermöglichen. Die Langsamkeit lässt ihn genau hinschauen und abbilden. Während man als Betrachter nichts Anstößiges zu finden glaubt, existieren im oftmals nur wenig Verborgenen mehr Ebenen. Die schwarzweißen Bilder, die eine einsame abgewohnte Baracke zeigen, entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als Lager, in dem Arbeitsunwillige umerzogen werden sollen. Das „zu Fuß unterwegs sein“ als verlangsamte Bewegung ergibt eine Distanz zur eigenen Kultur, woraus eine Wahrnehmungsveränderung von Umgebung und Zeit resultiert. Auch wenn sich Höpfner nicht als politisch motivierter Künstler sieht, ist ihm die politische Rolle des zu Fuß Gehens bewusst. „Es gibt ja auch eine sprachliche Entsprechung, bezeichnet doch ,auf die Straße gehenʻ eine Form des sozialen Protests.“
In seinen Reisetagebüchern verschriftlicht Höpfner seine Erfahrungen und Erlebnisse. Die fotografischen Abbildungen der Orte, die besucht wurden, werden durch die Eintragungen in die Tagebücher ergänzt, in denen auch Zeichnungen und Karten Eingang finden. Es ist eine Dokumentation der Leere von Landschaften, die nie wirklich leer ist, ebenso wie das Gesammelte gleichzeitig die Persönlichkeit des Fotografen und Künstler, aber auch des „Gehenden“ widerspiegelt. Einer seiner Professoren, der sein eigenes künstlerisches Arbeiten durch Drogenexperimente unterstützte, sagte zu dem damals noch Studierenden: „Meine Trips dauern durchschnittlich drei Stunden, deine Trips dauern drei Monate – du machst das richtig!“