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Vor dem Liegen

Text: Michael-Franz Woels | Fotos: brut Wien
Sophia Hörmann, GLOWING current moods © Mani Froh

Seit mittlerweile 30 Jahren setzt das imagetanz Festival nun schon „Neues aus Choreografie und Performance“ in Bewegung und stellt dieses Bestreben heuer unter das Motto „dancing 30 years ahead“. In der Jubiläumsausgabe präsentiert das von brut Wien organisierte Festival wie gewohnt ein dreiwöchiges Programm mit Uraufführungen von lokalen Künstlern und österreichischen Erstaufführungen von internationalen Gastspielen. Studiobesuche, Diskussionen und Partys runden das Festivalprogramm ab.

Gestartet wird heuer am Internationalen Frauentag. Das Auftakt-Stück am 8. März nennt sich „Oh My“, und das deutsch-schweizerische Performance-Kollektiv, das sich dahinter verbirgt, hat es allein schon aufgrund des originellen Namens Henrike Iglesias verdient, etwas näher betrachtet zu werden. Henrike Iglesias sind ein queer-feministisches Theaterkollektiv mit den Stützpunkten Basel und Berlin. Das 2012 gegründete Frauenquartett steht zwar nicht für Theatersport, kennt sich aber bereits seit dem Sportgymnasium. Dementsprechend durchtrainiert und eingespielt ist dieses All-Female-Team, das theatrale Spielfeld ist eine Femmage an das Unangepasste, das Hässliche, das Laute und setzt auf die produktive Kraft der Zerstörung. Mit ihrem Debüt „Wir kommen nicht aus dem Showbiz (Auch wenn man das vielleicht denken könnte)“ gewannen sie 2013 den Publikumspreis beim 100° Berlin Festival der Sophiensæle. Zur Zeit touren sie mit ihrem feministischen Live-Porno „Oh My“ und versuchen damit im März auch das Wiener Publikum zu befriedigen. Ihre Rückeroberungsversuche der eigenen Lust werden wie folgt hinterfragt: Warum ist in unserer hochsexualisierten Welt vor allem die weibliche Sexualität immer noch so stark von Schuld, Scham und Schweigen geprägt? Warum wusste bis vor kurzem niemand, wie die Klitoris wirklich aussieht? Warum dürfen manche ficken und andere werden immer gefickt? Wer darf im Patriarchat Objekt und wer Subjekt sein? Das eigene Begehren wird nach alternativen, queeren, feministischen, abwegig-phantastischen Bildern durchsucht, mit Pornografie als Empowerment-Strategie experimentiert. Das Atelier Augarten, dieser schön versteckte Ort im Grünen, wird dabei zum Pornofilm-Set.

Ebenfalls im Atelier Augarten zeigen nach dem lustvollen Eröffnungswochenende – die Eröffnungsparty am Freitag findet übrigens im Fluc im Rahmen einer LADYSHAVE-Veranstaltung statt – die Tänzerin Cat Jimenez und die bildende Künstlerin Maiko Sakurai Karner ihre Uraufführung „What’s the difference?“ und nehmen dabei interkulturelle Fehlinterpretationen in den Fokus.

Erste Skandale

Danach folgt drei Tage lang der Doppelabend von Alex Franz Zehetbauer und Hugo Le Brigand. In „wet dreaming at 52 Hz“ von Alex Franz Zehetbauer wird in das kühle Nass des audiovisuellen Wal-Kosmos eingetaucht. Eine eindringliche, sanfte Revolution mit folkloristischen, rektalen Tanzelementen verspricht Robyn/Hugo Le Brigand mit seinem Solo „sans culottes“.

Eine weitere der sechs Uraufführungen von lokalen Kunstschaffenden ist die Performance „Volume“ von Jasmin Hoffer, Sara Lanner und Liv Schellander, die im studio brut gezeigt wird. Das Trio nimmt das Thema Oralität in den Mund, unser Sprech- und Aufnahmeorgan wird wortwörtlich und performativ erkundet. In einem „skug“-Interview zum letztjährigen imagetanz Festival erklärte Sara Lanner die Beweggründe ihrer Performance-Tätigkeit. Gründe, die vermutlich auch auf andere imagetanz Teilnehmer zutreffen: „In meiner Beschäftigung mit Tanz und Performance interessiert mich die Verbindung meiner künstlerischen Praxis mit alltäglichen, gesellschaftlichen Gegebenheiten. Was kann man alles zu seiner Arbeitspraxis machen und wie? Wer spricht oder performt wo für wen oder durch wen? Auch die Frage, welchen Rahmen man sich schaffen kann, um eine bestimmte Art des Denkens zu ermöglichen, ist für mich wichtig. Zum Beispiel indem man nicht nur in klassischen Tanzstudios arbeitet, sondern auch einmal ein Nachtlokal, den Wald oder die U-Bahn zu seinem Arbeitsplatz erklärt.“

Ein internationales Highlight, das an zwei Abenden im Atelier Augarten gezeigt wird, ist die österreichische Erstaufführung von „Brume de Mer“ von Elina Pirinen. Das neue Stück der finnischen Choreografin, Tänzerin, Singer-Songwriterin, Kuratorin und Pädagogin ist eine berauschende Bühnensonate mit hypnotischer Orgelmusik, die jeden Loudness War gewinnt. Ein virtuoses Ensemble von fünf Tänzerinnen vollführt psychodynamische, ekstatische Ringtänze, immer wieder unterbrochen von lyrischem Gesang in einem duftenden Farbraum. Abschließend gibt es dann eine lokale Uraufführung zu erkunden: „Nach dem Aufstehen und vor dem Liegen“ von Zoë Schreckenberg rückt im studio brut das oft verborgene Dazwischen ins Zentrum ihrer neuen Performance. Das dünne Gorilla-Glas zwischen Selbstdarstellung und Erwartungshaltung zerkratzt Sophia Hörmann im Dschungel Wien in ihrer vom Eiskunstlauf inspirierten Solo-performance „Glowing current moods“.

Auch dieses Jahr bietet das Festival wieder Raum für Diskurs, Austausch und Begegnungen. Inge Gappmaier und Asher O’Gorman laden im Rahmen der Reihe Handle with care zu Studiobesuchen und geben Einblicke in den Entstehungsprozess ihrer neuen Arbeiten. Beim Salonabend 30 Jahre imagetanz diskutieren Kunst- und Kulturschaffende kulturpolitische Entwicklungen und künstlerische Visionen im Atelier-Augarten-Pavillon. Am 30. März zeigt Malika Fankha ihre neue Performance „Oxy Moron – eine Cyborg Utopie“, die gerade im Rahmen ihrer Residency @ Im_flieger entsteht. Um 22 Uhr folgt die imagetanz-Abschlussparty im Celeste.

Vor dem Liegen steht das Aufstehen und das Sich-in-Bewegung-Setzen. Nach imagetanz ist vor imagetanz, bleiben wir den Ab- und Ebenbildern treu.


imagetanz Festival 2019 – dancing 30 years ahead

30 Jahre Festival für Neues aus Choreografie und Performance

8. bis 30. März 2018

www.brut-wien.at

| FAQ 51 | | Text: Michael-Franz Woels | Fotos: brut Wien
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