Nach dem Soulrevival um die Jahrtausendwende, das von Größen wie Charles Bradley und der zu früh verstorbenen Sharon Jones angeführt wurde, ist es in den letzten Jahren wieder ruhiger um jenes Genre geworden, das wie kein anderes für große Gefühle, Befreiung und Kampf für Gleichberechtigung steht. Doch der Soul, der einst von Labels wie Stax oder Motown geprägt und in den Mittelpunkt der Popwelt geführt wurde, blieb immer präsent. In Europa fast unbemerkt hat sich in Loveland, Ohio ein Label etabliert, das Soul und Gospel der klassischen Ausprägung in eine glorreiche Gegenwart führt. Wir sprechen von Colemine Records, das Bands wie den Harlem Gospel Travellers, Durand Jones & The Indications oder den Sentiments eine Heimat bietet. Und dann wäre da noch Kelly Finnigan, der in diesen Tagen sein drittes Soloalbum „A Lover Was Born“ veröffentlicht.
Wenn man ihn fragt, wie er sich bezeichnen würde, kommt sehr schnell folgende Antwort: „Ich musste ein Sänger werden, um zu verstehen, dass ich eigentlich ein Produzent bin. Als ich 14 oder 15 war, rannte ich schon herum und erzählte jedem, dass ich Platten produzieren wollte.“ Der Berufswunsch erscheint weniger eigentümlich, wenn man Sohn eines begehrten Sessionmusikers ist, entsprechend viele Berufskollegen und Instrumente im Haushalt zu finden sind und Anrufe von Produzentenlegende Jerry Wexler zum Alltag gehören.
Finnigan hat sich seinen Berufswunsch erfüllt; er begann mit HipHop, aber im Laufe der Zeit näherte er sich auf der Suche nach wahren Gefühlen dem klassischen Soul an und fand seine Berufung. In den letzten fünf Jahren produzierte er zwei Alben seiner Band Monophonics, ein Album der Neo-Soul-Stilistin Alanna Royale, eines der Sextones und das noch nicht veröffentlichte Comeback der Underground-Soul/Blues-Legende Mike James Kirkland. Daneben tourte er ausgiebig mit den Monophonics und schrieb Songs für sein gerade erschienenes Soloalbum „A Lover Was Born“, das als eine Art Reisetagebuch gedacht war. „Ich mag es, allein zu arbeiten, aber das ist nicht der richtige Weg, eine Platte zu machen. Mit fast jedem Musiker, den ich anrief, war ich schon auf Tour oder habe viel Zeit mit ihm verbracht. So wie mit Joey Crispiano von den Dap Kings (der Hausband von Dap Tone Records, der Heimat von Sharon Jones, Anm.). Ich bin für fünf Tage zu ihm nach New York auf Staten Island gefahren, und in der Zeit haben wir fünf Songs geschrieben.“
Auf „A Lover Was Born“ lässt Finnigan seinen Einflüssen freien Lauf: Einmal glaubt man Isaac Hayes am Klavier zu hören, dann wechselt er in Richtung Northern Soul – nur um dann seine absolute Stärke auszuspielen, denn keiner interpretiert eine raue Schmerzensballade wie „Count Me Out“ so wie er.
Kelly Finnigan
A Lover Was Born
Colemine Records