Als Andy Warhol (1928–1987) und Jean-Michel Basquiat (1960–1988) einander im New York des Jahres 1982 kennenlernten, war ersterer längst als Übervater der Pop Art anerkannt und neben Beuys der wohl prominenteste Künstler der Welt; Basquiat war ein aufstrebender Streetart-Künstler, der Graffiti in die Kunstgalerien brachte und dessen Bekanntheitsgrad täglich zunahm. Die beiden verstanden sich auf Anhieb, über ihre Freundschaft und die Gemeinschaftsarbeiten wurde medial ausgiebig berichtet. Nicht mehr viel Neues zu berichten also? Ein wenig doch. Denn ein Buch aus dem Taschen Verlag, das in Zusammenarbeit mit der Andy Warhol Foundation und dem Nachlass von Jean-Michel Basquiat entstand, nähert sich dem Duo jetzt mittels unveröffentlichter Warhol-Fotos und Texten aus den legendären „Andy Warhol Diaries“, in denen der Godfather of Pop sein Leben geradezu obsessiv festhielt. Man bekommt also visuell tatsächlich Neues zu sehen, und Warhols Tagebuch mag in Verbindung mit den Fotos vielleicht auch andere Blickwinkel eröffnen. Das Ziel von „Warhol on Basquiat“, so Herausgeber Michael Dayton Hermann im Vorwort, sei es, nicht nur zu zeigen, was die beiden geschaffen haben, sondern auch wie ihre Beziehung aussah. Und nachdem Warhol hier als Protokollführer auftritt, gehen in dem hochwertig und ansprechend gestalteten Band Tiefgründiges und Banales – das Warhol wie wenig andere in ein Wechselspiel zu bringen wusste – Hand in Hand.
Andy and Jean Michel painting Problems at Andy’s studio at 860 Broadway, March 27, 1984
© The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc.
So streift Warhol etwa anhand eines Essens mit Basquiat und dem legendären Galeristen Bruno Bischofberger mit extremer Trockenheit die zerstörerische Drogensucht Basquiats, meint aber, dass dem Künstler sein Aufenthalt in Jamaica gut getan habe und er nun „gesund wie ein Pferd“ wirke. Sein Haar habe sich Basquiat in einem Friseursalon schneiden lassen, der sehr chic geworden sei – früher kostete ein Haarschnitt dort 2,50 Dollar, mittlerweile aber schon 4 Dollar … Oder: „Jean Michel und ich gingen zu Yanna’s und ließen uns die Nägel machen. Meine Fingernägel werden tatsächlich besser. Wir beiden würde eine gute Story für die ,Vogue‘ abgeben.“
Doch es ging auch ernster zu, etwa wenn Basquiat Warhol beichtet, dass er Angst habe, eine Eintagsfliege zu sein. Warhol beruhigt ihn zunächst, doch als er merkt, dass Basquiat ein teures Gebäude gemietet hat, wird er selbst unruhig. Und dass die Beziehung ihre angespannten Seiten hatte, wird klar, wenn Warhol schreibt, dass er Basquiat eine harte Ohrfeige gab, weil dieser sich bei einem Kunstausflug nach Mailand ohne Ankündigung abgesetzt hatte. Der Band wird dadurch selbst zum offenen Kunstwerk, denn für den Leser bleibt offen, wie tief Warhols Gefühle tatsächlich waren bzw. sein konnten – sah er Basquiat als echten Freund, als wichtigen Partner in Sachen Kunst, als nützliche Muse oder als Objekt, das er kontrollieren wollte?
Basquiat erscheint jedenfalls oft wie ein Model, das beim Rasieren ebenso wie beim Rauchen auf der Straße abgelichtet wird. Abbildungen von Kunstwerken – auf nicht wenigen Fotos sieht man die beiden bei der gemeinsamen Arbeit – demonstrieren, wie sich die berühmten Symbole Basquiats mit grafischen Einflüssen Warhols paaren. Wie er im Tagebuch festhielt, war Warhol auch der Meinung, dass die besten Gemeinschaftsarbeiten jene seien, bei denen man nicht sagen könne, wer welchen Teil geschaffen habe – weswegen er auch manchmal den Stil Basquiats übernahm. Darüber hinaus ist der Band ein Zeitdokument des New Yorks der achtziger Jahre, als die Stadt die unbestrittene Hauptstadt der Gegenwartskunst war – vom Madonna-Lookalike-Contest über einen posende Keith Haring bis zu Grace Jones im Nachtclub ist alles dabei.
Das intensive Dokument einer intensiven Freundschaft mit Ups und Downs.
Michael Dayton Hermann (Hg.):
Warhol on Basquiat. The Iconic Relationship Told in Andy
Warhol’s Words and Pictures.
Taschen Verlag, Köln 2019. 312 Seiten, € 50