Einige Tage vor der Eröffnung schläft man schon schlecht“ sagt Thomas Zierhofer-Kin. Eine berufsbedingte Trübung der Lebensqualität, die dem Kulturmanager vor dem 28. April dieses Jahres zum achten Mal bevorsteht, 2005 fand das erste Donaufestival unter seiner künstlerischen Leitung statt. Seither gelang es das 1988 gegründete Festival weit über die 24.000 Einwohner Stadt Krems und Niederösterreich hinaus nachhaltig in der Wahrnehmung von Publikum und Medien zu verankern, die von Kunst in ihren Ausprägungen von Musik bis transmedialer Performance mehr sehen und erwarten, als die reine Behübschung und Bestätigung vorherrschender Lebensentwürfe. Als Teil der Niederösterreichischen Kulturwirtschaft Ges.m.b.H. stehen Zierhofer-Kin und seinem Team dabei Mittel zu Verfügung, die es in der Vergangenheit erlaubten, große Namen einer genreübergreifenden und in der Vielfalt ihrer Ausdrucksmittel kaum zu fassenden globalen Off-Mainstream-Kultur nach Krems zu bringen. Laurie Anderson, John Cale, Throbbing Gristle, Will Oldham oder David Tibet seien hier genannt. Ein großer Verdienst des Donaufestivals ist es diese wichtigen „alten“ Damen und Herren stets in einen Kontext mit den neuesten Ausprägungen einer forschenden, sich nicht ausschließlich kulturkapitalistischen Wiederholungszwängen unterwerfenden Kunst zu stellen, so Wurzeln und jüngste Triebe gleichzeitig und gleichwertig erlebbar zu machen, dabei zusätzlich weder die weite Welt noch die unmittelbare Nachbarschaft aus dem Blick zu verlieren. So war Naked Lunchs Filmkonzert „Universalove“ eine Auftragsarbeit des Donaufestivals, versuchte sich in Krems Fritz Ostermayer featuring Soap & Skin am Tanztheater oder scheiterten Ja, Panik daran mehr als eine Band sein zu wollen. Die Goldenen Zitronen arbeiteten hier 2008 mit der Schauspielerin Irm Hermann, was wie Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun anmerkte am „freien Veranstaltungsmarkt“ kaum zu realisieren wäre. Und Mike Patton (Faith No More) kuratierte 2006 einen Festivaltag.
Thomas Zierhofer-Kin erlebt das Donaufestival als ongoing Projekt, als einen größeren Zusammenhang, der über die jeweiligen Programme und „Themen/Thesen“ der einzelnen Festivals hinausgeht und -führt. Was sich darin manifestiert, dass Bohren und der Club Of Gore, schon vor 6 Jahren von Mike Patton eingeladen, heuer „so weit sind“ in der Minoritenkirche spielen. Oder Laurie Anderson nach der Performance von „Transistory Life“ letztes Jahr 2012 nach Krems zurückkehrt. Die Grand Dame der Multimedia-Kunst trifft am Eröffnungsabend erstmalig auf das junge Synthie-Wave-Pop Duo Light Asylum aus Brooklyn. Das Herstellen nicht alltäglicher „Pairings“ ist ein programmatisches Grundprinzip des Festivals, mit den Schwestern Bianca und Sierra Casady aka CocoRosie kuratieren dazu passend zwei hochkarätige und vielfältige Künstlerinnen das Eröffnungswochende (28.4. bis 30.4.). Sie selbst bringen dabei die „Popera“ „Soul Life“, die Tanztheater-Produktion „Night Shift“ und die Filmvertonungen „Harmless Monster“ – das Publikum war aufgefordert bis zu 5-minütige Stummfilme einzuschicken – und ein abschließendes CocoRosie-Konzert mit dem Titel „Die achte Nacht“ auf die Bühnen. „Die achte Nacht“ vereint dabei die vielen unterschiedlichen Elemente, die sich in der CocoRosie-Musik wieder finden. Ihr in viele Richtungen offener Art-Folk trifft live unter anderem auf den französischen Beatboxer Tez oder die nordindische Folkgruppe Rajasthan Roots. Der Titel des zweiteiligen Konzertabends verweist auf die Grundthese des Festivals, die auch das zweite Wochende (3.5. bis 5.5.) ummantelt. „Angesichts einer unheilbar an Homo Sapiens erkrankten und durch seine Symptome lebensbedrohlich geschwächten Welt stellt das Donaufestival 2012, quasi als Warm Up für den Weltuntergang, die gewagte These in den Raum: „Wenn wir einst durch den Akt von Schuld und Kultur aus dem Paradies vertrieben wurden, dann lassen wir uns nun durch Unschuld und Unkultur wieder in den Garten unserer Utopien schicken“, schreibt Zierhofer-Kin in seinem Vorwort im Programmheft des Festivals. In dem er Gedankengänge und Überlegungen bündelt, die im Dialog mit und beim Nachspüren der Gemeinsamkeiten von Künstlern wie dem deutschen John Bock und dessen Grenzgängereien zwischen Installation, Skulptur, Aktion, Theater und Film (mit einer Ausstellung und der „Intervention im Kinosaal“ „Im Schatten der Made“ in Krems vertreten), der Performance-Truppe Hotel Modern (die in „Shrimp Tales“ mit 400 Garnelen als Hauptdarstellern „die faszinierende Seuche, die sich selbst Menschheit nennt“ portraitieren wird und zur Science Fiction-Apokalypse „Seaplane Mothership“ einlädt) und den Schwestern Casady entstanden sind.
Das Motiv des Widerherstellens oder künstlerischen Suchens nach einer „kindlichen Unschuld“, gerade CocoRosie in der Rezeption gerne umgehängt, wird dabei aber weder als rückwärtsgewandte Weltflucht, noch als weiterer Aspekt der globalen Retromania der (Pop-)Kultur eingesetzt. Viel eher geht es um das Anwenden einer verloren gegebenen Offenheit und offensiven „Anti-Logik“ der Betrachtung einer aus den Fugen geratenen Welt und deren künstlerischer Impikationen. Natürlich verlangt oder behauptet das Donaufestival 2012 nicht das Aufstellen konkreter Utopien oder das unwiderlegbare Ausformulieren solchiger. Gleichzeitig ist es safe zu behaupten, dass Künstler nicht mehr oder nachhaltiger daran scheitern, lebenswerte Leben zu denken und darzustellen, als es Politik und Wirtschaft aktuell tagtäglich tun. Spielen als Handlungsprinzip mag da nicht die schlechteste Strategie sein. So wie es etwa das Berliner Medientheater-kollektiv machina eX mit „15.000 Gray“ tut, wenn es in einem „mobile adventure“ ein Computerspiel zu Theater werden läßt (und umgekehrt) und dazu der Raum des Messe- geländes nutzen wird. Überhaupt birgt das das Programm Donaufestival 2012 eine kaum zu fassende Fülle künstlerischer Abenteuern, von Ariel Pink und Haunted Graffiti bis zu einem der raren Liveauftritte von Lustmord, dem Video-Visionär Chris Cunnigham, der sich (auch) als Musiker präsentiert, dem queeren Bounce-Vergnügen Sissy Nobby mit Gast Antony Hegarty oder Squarepusher, essentiellen frühen Arbeiten des Film-Essayisten Harun Farocki bis zu „The Ballad Of Genesis And Lady Jaye“, Marie Loisiers außergewöhnlichem Filmporträt der Liebe von Genesis P. Orridge und seiner verstorbenen Ehefrau. Fehlen bloß sechs freie achte Tage und Nächte, um sich in all diese Paradiese (ver-)treiben zu lassen.