Das nächste Semester verspricht für die Modeklasse der Universität für Angewandte Kunst in Wien spannend zu werden: Die Gastprofessur steht vor einer Neubesetzung, und die Gerüchteküche brodelt. Wer darf ab September in die Fußstapfen von Veronique Branquinho treten? Es wird wohl eine Frage grundsätzlicher Natur werden: Wie will sich die Angewandte künftig orientieren? Begibt sie sich mit einem glamourösen Namen wieder auf internationales Parkett – auf die Gefahr hin, einen vielbeschäftigten Designerstar zu engagieren, der parallel auf mehreren Hochzeiten tanzt? Oder setzt sie auf Marke „Unbekannt“ und damit die weniger publicityträchtige, doch vielleicht solidere und verlässlichere Lösung? Ein Name, der neben einigen anderen kursiert, ist der des deutschen Designers Bernhard Willhelm. Der würde zwar die Wiener Antwerpentradition der letzten neun Jahre fortführen, dies aber ganz sicher von einem anderen ästhetischen Stern aus. Weniger reduzierte Eleganz, dafür mehr farbenfrohes Modesampling, dürfte zu vermuten sein. Doch wer auch immer das Rennen macht um den nicht uninteressanten Posten, spielen wir es einfach mal durch, das „Was wäre, wenn Spiel“ – und zwar mit dem Kandidaten Bernhard Willhelm: Was wäre also, wenn Herr Willhelm, der in Paris jährlich die Produktion zweier Damen- und zweier Herrenkollektionen betreut, seinen Nebenwohnsitz in Wien anmelden würde? Was hat der Designer bisher gemacht, und für welche Mode steht er?
Der modische Querkopf an der Seine
Was Bernhard Willhelm im Januar 2009 anlässlich der Berliner Fashionweek im Postbahnhof an Spektakel auf die Beine stellte, war erstaunlich. „Meet and Greet im Skigebiet“ hieß das Motto – und erstmals zeigte dieser an der Seine arbeitende deutsche Designer in Berlin, zu welch medialem Trommelwirbel er auch in der Heimat fähig ist. Und die Prominenz kam und staunte: Bernhard Willhelm, der modische Querkopf, avancierte zum kunterbunten Höhepunkt einer ansonsten eher verkrampften Modewoche.
Zünftige Lederhose und gerüschter Trachtenärmel trifft auf Harlekinkragen und locker-lässige Streetwear, oder: Ronald McDonald-meets-the-Simpsons clownish world. So zumindest brachte es die Vogue-Kritikerin Sarah Mower bereits 2002 auf den Punkt. Kaum ein Designer zaubert einen solch bunten Strauß an Assoziationen hervor – und polarisiert gleichzeitig dermaßen. Dem Designer verschaffen seine avantgardistisch-surrealen Einfälle ein künstlerisches Image, an dem aufgrund seiner Singularität auch niemand zu kratzen wagt. Zudem beschert ihm der Status des unabhängig-modischen Querkopfes auch immer wieder Anerkennung im Kunstkontext, etwa 2003 im Frankfurter Kunstverein und in der Ursula-Blickle-Stiftung im Kraichtal oder anlässlich der Retrospektive „Het Totaal Rappel“ im Antwerpener Modemuseum. Nichtsdestotrotz ist Willhelm selbst ganz Realist, was den Verkauf seiner Mode angeht. Er werde, so seine Einschätzung, vor allem von den exzentrikverliebten Japanern subventioniert. Und da es ihm in der Schublade des kunterbunten Nischenproduktes bisher recht gut geht, muss er sich vor dem Zusammenbruch der Finanzmärkte wahrscheinlich gar nicht so sehr fürchten, wie die, die immerzu auf marktkonforme Mode setzen.
„Le petit chapeau rouge“ oder vom Glück, japanische Fans zu haben
Das Glück scheint dem geborenen Schwaben, der sich der Einfachheit halber im Ausland gerne als Bayer ausgibt, von Anfang an hold gewesen zu sein. Nach einem Jahr Modestudium an der eher industriell und technisch ausgerichteten Fachhochschule Trier wechselt Willhelm an die wesentlich glamourösere Königliche Akademie der Schönen Künste in Antwerpen, die er 1999 unter großem medialen Applaus und mit Auszeichnung abschließt und wo wichtige Kontakte gemacht werden: Bereits damals wird er als besonders vielversprechendes Talent gehandelt, und so ist es nicht verwunderlich, dass zu Willhelms erster Show in Paris einige Einkäufer des japanischen Kashiyama-Konzerns bereits dessen taufrische Kollektion ordern. Dann geht alles Schlag auf Schlag: Noch im selben Jahr gründet Willhelm zusammen mit seiner Geschäftspartnerin Jutta Kraus das Label „Bernhard Willhelm“, danach bewegt man sich, was Produktion und Absatzmarkt angeht, konsequent weiter in Richtung Ostasien: Seit 2005 wird die Bernhard Willhelm-Kollektion komplett in Japan hergestellt, 2006 eröffnet seine erste Boutique in Tokio. Atelier und Showroom hat der „German Designer“, dessen Herkunft für japanische Kundschaft einen Hauch Exotik versprüht, seit 2002 in Paris.
Was die japanische Kundschaft besonders verzückt: Bernhard Willhelm bedient sich ungeniert aus dem postmodernen Warenlager, seine Ideen werden irgendwo zwischen Arnold-Schwarzeneggers Blockbusterstreifen, AC/DC-Platten und Michael Jackson-Videos ausgebrütet. Heraus kommt eine unverwechselbare Mixtur, die so gar nicht nach globalisiertem Mainstream aussieht. Gleichzeitig wird diese Vorliebe für popkulturelle Phänomene eben auch von dieser anderen Seite gewürdigt. So entdeckt die isländische Sängerin Björk bezeichnenderweise in einem japanischen Magazin Fotos von Willhelms Abschlusskollektion „Le petit chapeau rouge“. Zur Verleihung der Golden Globes im Januar 2001 präsentierte sich die Musikerin, die sich selbst irgendwo zwischen Fee und Kobold inszeniert, in einem Bernhard Willhelm-Kleid mit Michael Jackson-Applikation. Doch es bleibt nicht bei diesem einen Auftritt: Björk setzt im Sommer 2007 im Rahmen ihrer Volta-Tour kostümtechnisch komplett auf Bernhard Willhelm: Er gestaltet nicht nur ihr Kostüm für das Cover ihrer Platte, sondern ist auch für die Ausstattung der gesamten Tour verantwortlich.
Denn wie kaum ein anderer hat Willhelm in den zurückliegenden neun Jahren eine eigene Bilderwelt entwickelt, die sich aus einem stets ergänzten Pool an sich wiederholenden Motiven speist. So ist es denn auch schwierig, die Kollektionen, die er seit 2000 für Frauen und seit 2004 für Männer über den Laufsteg schickt oder noch viel lieber in Form von absurden Spektakeln, Aktionen oder Performances inszeniert, ausschließlich in Form abgeschlossener Kollektionen zu betrachten. Denn Bernhard Willhelms Mode läuft Trends nicht hinterher, ist aber, was Versatzstücke seiner Kollektionen angeht, seiner Zeit häufig voraus. So thematisiert er 2007 in einem Interview, dass seine Rave-Sommer-Kollektion 2006 zwei Jahre zu früh dran gewesen sei, um kommerziell erfolgreich zu sein: „Ja, als es dieses Jahr überall hieß ‚New Rave‘, dachte ich auch: Aha, I’ve done it already! Ich ärgere mich aber nicht darüber, dass andere Leute jetzt mehr daran verdienen als wir, ich sehe das eher als Bestätigung und als Beweis, Vorreiter zu sein.“
Während andere Designer ihr Geschäft mit der saisonalen Neuerfindung des Glamours am Laufen halten, ist es bei Willhelm der Wiederaufguss einer gewandgewordenen postmodernistischen Zitatesammlung. Nimmt man sich demzufolge Bernhard Willhelms Mode zur Brust, dann wahrscheinlich am zielführendsten über eine Annäherung an seine buntfacettierte Motivik.
Zwischen Schwarzwälder Kirsch und Bayerischer Weißwurscht
Trachten und historische Kostüme, Motive aus dem süddeutschen Raum und hier gerne aus dem Schwarzwald könnte man als ein Herzstück in Willhelms Kollektionen bezeichnen. Angefangen bei den „petits chapeaux rouges“ der 1999 vorgeführten Abschlussshow bis hin zu immer wieder auftauchenden Lederhosen und Dirndlschnitten kombiniert der Designer gerne robuste Lodenstoffe, Karostoffe jeglicher Couleur und jede Menge Strick. Doch was die Auswahl der Trachtenelemente angeht, ist Willhelm nur bedingt regional festgelegt: Wie der Schwarzwälder werden eben der Tiroler Tracht oder anderen außereuropäischen Kulturen Versatzstücke und folkloristische Elemente entliehen, um diese nach allen guten Regeln der Regelbrechung zu demontieren. In Willhelms Männer- und Frauenmode treffen traditionelle und auch spezifisch deutsche Motive unausweichlich auf popkulturelle Versatzstücke wie Comicfiguren, Holzfällerhemden und Turnschuhe, um erst in dieser Kombination ironisch lesbar und global decodierbar zu sein. Denn das, was beispielsweise dem japanischen Kunden serviert wird, schmeckt eben nicht nur nach exotischem Schwarzwälder Kirsch, sondern nebenbei nach Bad Taste, versehen mit einem Spritzer Zeitgeist. Ein weltabgewandtes Dasein im Elfenbeinturm ist Willhelms Sache nicht, so wird aktuelles gesellschaftliches Geschehen gerne symbolträchtig bebildert: Bei der letzten Präsentation seiner Damenkollektion in Paris klebt einem weiblichen Model, das in schweren Wanderschuhen und krisensicherem Umhang mit angehefteten „Oil Now“ – Fähnchen daherkommt, ein Dollarschein quer über der Stirn, auf anderen Gesichtern rinnen blaue Make-Up-Tränen aus den Augen: So sieht Bernhard Willhelms plakativer Kommentar zur Finanzkrise aus. Und so können Tracht und Folkloreelemente auch zu kleinen politischen Statements werden.
2006 stattet Willhelm die Inszenierung des Faßbinderstücks „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ am Deutschen Theater in Berlin aus: „Die Hauptdarstellerinnen tragen meine aktuelle Sommerkollektion, die bayerisch inspiriert ist. Fassbinder kam ja aus Bayern. Die Kollektion hat Karomuster und Trachtenelemente, das hätte ich mir für das Stück gar nicht besser ausdenken können.“ So passt also eines zum anderen: Faßbinder, den man, obwohl im bayerischen Bad Wörishofen geboren, als einen mehr als untypischen Vertreter seines Landes bezeichnen könnte, wird von Bernhard Willhelm posthum mit den Insignien des „Bavarian Cliché“ versehen. Das beißt sich natürlich, sieht dabei richtig gut aus und mag eine weitere performative Inszenierung ganz nach Bernhard Willhelms Geschmack gewesen sein.
Helden in Strumpfhosen
Männermode fängt bei Bernhard Willhelm meist bei den Wadeln an: So betont der Designer in Gesprächen immer wieder die erotischen Qualitäten von strammen Waden und schwerem Schuhwerk. Gleichzeitig – und auch dies ist typisch für ihn – kommt er schwulen Klischees immer mit einem Schuss Ironie zuvor. Denn das Spiel mit Männlichkeitsrollen betreibt im Modegeschäft wahrscheinlich niemand so hemmungslos und gleichzeitig so ausgefeilt wie er: Seien es Streetwear-Elemente, die den Körper in Form von weitgeschnittenen Jogginghosen und Kapuzensweatern lässig umhüllen, breit bepackte American-Football-Silhouetten oder hautenge Beinkleider wie Bodysuits und Strumpfhosen, Willhelm tariert ganz im Gegensatz zu den unausgesprochenen Restriktionen der Männerkonfektion seine eigenen Grenzen immer wieder aufs Neue aus: Da wären die Modelle des Guerilleros im Großstadtdschungel oder des All-American-Homeboy. In seiner Kollektion „Men in tights“ hingegen beschwört er das Klischee des durchtrainierten Balletttänzers und stellt den wohlgeformten männlichen Körper ins Zentrum seines Interesses: Mit eng anliegenden Kleidungsstücken wie Leggings werden Muskelpartien und Geschlechtsteile in Szene gesetzt, gleichzeitig aber aufs schönste Materialien wie Strick, Latex und Lycra über den Körper verteilt.
Für die Präsentation seiner Sommerkollektion 2008 setzt Willhelm wiederum auf Provokation. Statt schmalbrüstiger blasser Jünglinge, die seit Jahren die Laufstege bevölkern, engagiert er den schwulen Pornostar François Sagat, der das geschmacklos-braungebrannte, übersexualisierte Muskelpaket gibt. Die Kleidungsstücke eigens auf ihn zugeschnitten, liegen die trikotähnlich anliegenden Stoffe zum Zerreißen gespannt über den skulptural aufgepumpten Körperteilen. Willhelm setzt auf plakative Bilder, die trotz medial allgegenwärtiger Sexualität zum Hinschauen zwingen. Denn wo die Darstellung weiblicher Sexualität aus männlicher Perspektive omnipräsent und alltäglich geworden ist, dreht Willhelm den Spieß um: weg von körperferner Baggy-Mode für Männer, hin zu einer Kollektion, „die ganz offensiv ‚Sex‘ schreit: Show the cock, show the ass!“ Auch am eigenen Körper und Erscheinungsbild arbeitet Willhelm, dessen Haartracht in den letzten Jahren die verschiedensten Looks und Färbungen über sich ergehen lassen musste, kontinuierlich, denn: „Wenn man als Designer kein Körpergefühl hat, sollte man es gleich vergessen. Man muss seinen eigenen Körper schon wahrnehmen können, um in dem Beruf arbeiten zu können.“
Aufstand im Kinderzimmer
Will Willhelms Mode umschrieben werden, landet man irgendwann unausweichlich im Kinderzimmer. Denn „kindlich“ scheint eines der Adjektive zu sein, die in den Versuchen, seine Mode zu charakterisieren, immer wieder fallen. Das mag damit zusammenhängen, dass Kindlichkeit mit einem möglichst tiefen Griff in den Farbeimer assoziiert wird, der wie bei Willhelm in Kombination mit surrealen Strickeinfällen wie Spiegeleibroschen, Supermanumhängen oder dem geballten Einsatz der tierischen Arche-Noah-Besatzung befeuert wird. Da tummeln sich Eulen und Hunde, Marienkäfer und Dinosaurier, und das Labelmaskottchen des Affen.
Weite Silhouetten von locker fallenden Kleidern, Joggingoutfits, die an zu groß gewordene Strampelanzüge erinnern, wallende Umhänge, Strickmützen mit aufgestickten Gesichtern sowie das omnipräsente Kapuzenmotiv, gerne auch mit Minniemouseohren, sorgen für eine Assoziationskette des ewigen Kindergeburtstags. Doch schon naht der Aufstand im Kinderzimmer, wird beispielsweise die vor Harlekinmotiven nur so strotzende Winterkollektion 2002 empfindlich gestört: Hier schiebt sich die graue Wolke Liebeskummer über die auf den ersten Blick scheinbar heile Kinderwelt: „I’ve really had it with my girlfriend. She’s fallen in love with someone else, a guy with plenty of dosh and cool clothes.“ wird das Kollektionsthema im dazugehörigen Pressetext erläutert. Die harte Keule Realität schlägt zu und schon steht die Pubertät vor der Tür. Doch dieser immer wieder durchexerzierte Bruch von Motiven und Themen macht eben die Stärke von Willhelms Mode aus: Seine Entürfe mögen noch so verspielt daherkommen, hier verliert sich niemand in seinen Rüschenbergen. Erstaunlicherweise hat Willhelm bisher erst eine Kollektion explizit für Kinder realisiert, nämlich 2005 für das peruanische Projekt Misericordia, in dessen Rahmen unter dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ Schuluniformen für Kinder vor Ort gefertigt werden. Und was fiel Bernhard Willhelm dazu ein? Er entwarf das, was er am besten kann: Kleine Jogginganzüge mit Hasenohren.
Schaffe schaffe, Häusle baue
Willhelm betont immer wieder die Teamarbeit, die hinter seinem Namen steckt und widerspricht damit dem noch immer präsenten Entwurf des Künstlergenies: „Die feste Struktur ist natürlich das Team, Mode ist ja immer Teamwork, das bin ja nicht nur ich, der da irgendwie die tollen Sachen zeichnet, das muss ja eben auch ausgearbeitet und gemacht werden“, stellt er 2005 in einem Interview mit Claus Richter klar. Der vielbeschäftigte Designer wäre ohne Team bei dem Pensum, das er vorlegt, natürlich aufgeschmissen, produzierte er doch neben seiner Herren- und Damenlinie 2003/2004 mal eben zwei Damenkollektionen für das Label Capucci und verleiht, wie es seit einigen Jahren en vogue ist, für verschiedene Kooperationen Namen und Image an Labels: 2005 entsteht so beispielsweise eine limitierte Geisterkollektion für yoox, ganz aktuell Schuhe für Camper, Nagellack für Uslu Airlines und drei Brillenmodelle für Mykita. Und auch wenn sich Bernhard Willhelm, was seine Herkunft angeht, gerne die Lederhose anzieht, hätten wir ihn da wieder, den fleißigen Schwaben. Dabei mag es sich jetzt wieder um ein furchtbares Klischee handeln, aber Klischees, die hat Bernhard Willhelm doch eigentlich ganz gern.