Kaum ein Künstler redet gern über seine Arbeit. Für Steve McQueen ist jede Unterhaltung in diese Richtung ein Kampf. Dann sitzt er da mit vorgezogenen Schultern, als müsse er sich in Deckung bringen. Das Kreuz breit, der Rücken gerade, die Haltung angespannt. Oft sind die Pausen, in denen er nach den richtigen Worten sucht, länger als die Antworten, die er gibt. McQueen ist kein Plauderer. Kein Lückenfüller. Seine Kunst ist widerständig, dringlich, aufwühlend – geschwätzig ist sie nicht.
Am liebsten stellt der Künstler selbst die Fragen: Wer sind wir? Wo stehen wir? Gedanken wie diese befeuern sein Werk. Freiheit und Gefangenschaft sind die zwei Pole, um die McQueens kreative Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit immer wieder kreist. Mit seinem Spielfilmdebüt Hunger über die Haftzeit des irischen IRA-Mitglieds Bobby Sands hatte er 2008 erstmals im Kino auf sich aufmerksam gemacht; sechs Jahre später wurde er für sein Drama 12 Years a Slave über die Sklaverei in den amerikanischen Südstaaten bei den Oscars gleich doppelt ausgezeichnet, sowohl für die beste Regie als auch für den besten Film.
In seiner Arbeit als bildender Künstler ist McQueen bereits seit über dreißig Jahren aktiv, und das nicht weniger erfolgreich. 1999 wurde ihm der Turner Prize verliehen. Doch schon die frühen Werke wie sein Uniabschlussfilm Bear (1993) oder der einem Buster-Keaton-Sketch nachempfundene Kurzfilm Deadpan (1997) sind von einem offenen Dialog zwischen den verschiedenen Medien und kreativen Ausdrucksformen geprägt. Für ihn, sagt McQueen, sei das alles dasselbe – Kunst oder Film. In seinen Bildern verschwimmen Rassismus, Sexismus, Gewalt und Zärtlichkeit, Nähe und Distanz. Es ist am Publikum, das Gesehene zu dechiffrieren, die Leerstellen mit Bedeutung zu füllen.
Wie unmittelbar sich in den Werken des 1969 geborenen Briten dabei Vergangenheit und Gegenwart ineinander verzahnen und voneinander abstoßen, machen vor allem seine immersiven Installationen deutlich, die im neutralen museal-galeristischen Umfeld entstehen. 2023 drehte er mit Grenfell einen Film, der die Überreste des 2017 ausgebrannten Londoner Wohnturms aus der Vogelperspektive zeigt. Demnächst wird er bei Dia Beacon in New York die Räumlichkeiten im Untergeschoss mit Licht und Klängen bespielen, um die trans-atlantische Überfahrt zu evozieren. Für das Projekt hat er sich mit dem großen amerikanischen Jazz-Bassisten Marcus Miller zusammengetan.
Im Kino zeigte der Ausnahmekünstler mit Occupied City gerade seine erste Dokumentation über Amsterdam zur Zeit der Besatzung durch die Nazis im Zweiten Weltkrieg. Sein neuer Spielfilm Blitz über die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf London während der Luftschlacht um England soll ebenfalls noch in diesem Jahr starten. Kurz: McQueen ist so geschäftig und gefragt wie nie zuvor. Viel Zeit für große Worte bleibt ihm dabei nicht.
„Es ist immer gut, ein Verständnis dafür zu haben, wo man sich gerade befindet und warum man jetzt hier ist.“
Steve McQueen, gibt es einen Unterschied zwischen Ihren Arbeiten mit all diesen verschiedenen Medien?
Nicht wirklich. Es geht darum, es zu tun und nicht daran zu denken, Dinge in Schubladen zu stecken. Alles gehört zusammen. Am Ende des Tages geht es nur um die Arbeit und darum, was dabei herauskommt. All diese Dinge sind nur dazu da, diese Arbeit zu unterstützen.
Gibt es einen roten Faden in Ihren Werken und Filmen?
Es geht darum, für die Welt, in der wir leben, sensibel zu sein und darum, beobachten zu können. Es geht immer darum, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wer wir sind und wo wir sind – und zu versuchen, das zu übersetzen. Mir geht es weniger darum, die Dinge, die wir sein wollen in den Vordergrund zu stellen, als die Dinge, die wir sind.
Von der Sklaverei über den Grenfell-Brand in der Nähe von Shepherd’s Bush in London, wo Sie aufgewachsen sind, über Amsterdam als besetzte Stadt bis hin zum Londoner „Blitz“ – prangern Sie gerne schreckliche Dinge an, die passiert sind?
Das sind alles sehr wichtige Themen unserer gemeinsamen Geschichte. Als Künstler interessiere ich mich nicht nur für sogenannte „tragische“ Ereignisse. Ich interessiere mich für Dinge, die sich tatsächlich verändern und uns zu dem formen, was wir heute sind. Das ist grundlegend.
Um jungen Menschen diese Themen als Lektion für ihr Leben in Erinnerung zu rufen?
Bis zu einem gewissen Grad, aber es ist sehr wichtig zu verstehen, wo wir sind. Wir sind nicht einfach so hierher gelangt. Diese Filme und Kunstwerke sind in gewisser Weise die Geister, die sich gerade um uns herumbewegen und die sehr präsent sind. Wir nehmen Hinweise auf Dinge wahr, die wir nicht sehen. Ich zeige, was passiert ist, um dorthin zu gelangen, wo wir jetzt sind.
In „Occupied City“ sehen die Menschen das Amsterdam von heute. Ist der Mangel an Erinnerung daran, dass die Deutschen dort fürchterliche Dinge getan haben, erschreckend?
Es macht mir nichts aus, dass Menschen eine gewisse Art von Amnesie gegenüber der Vergangenheit an den Tag legen, denn wie sollen wir sonst einen Fuß vor den anderen setzen? Wenn wir ständig in der Vergangenheit leben, werden wir nicht an die Zukunft denken und versuchen, sie zu verbessern. Aber für mich ist es ab und zu gut, sich einer Art Mahnung bewusst zu werden. Es ist schließlich gut, ein gewisses Verständnis dafür zu haben, wo man sich gerade befindet und warum man jetzt hier ist …
Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 75
Interview – Alain Elkann / The Interview People
Übersetzung – Philip Waldner