Wie geht es eigentlich weiter? Auf den internationalen Märkten, wo unentwegt neue Unsicherheiten geschaffen werden, steigen die Umsätze mit Gemälden und Skulpturen nach wie vor. Der Mythos, dass ausgerechnet Kunst die einzige Aktie sei, deren Preis nicht sinken könne, hält sich hartnäckig. Kunst als harte Währung der Ellbogengesellschaft. 16 Milliarden Dollar (also rund 14 Milliarden Euro) wurden 2014 auf Auktionen weltweit umgesetzt. So Berechnungen, die das Hamburger Abendblatt jüngst kolportierte. Welche Geldbeträge auf Messen, in Galerien und Ateliers im Spiel sind, müsste da – wohlgemerkt – noch extra dazu gerechnet werden.
Und abseits der Hypes der Kunst-markt-Kunst, da, wo Ausstellun-gen Projektcharakter haben? Kann sich aktuelle Kunst als Erzählform, als Format der Reflexion, das versucht, Aussagen über unsere Gegenwart zu formulieren, überhaupt noch behaupten? Nikolaus Schaffhausen, Direktor der Kunsthalle Wien, reaktiviert den Ausstellungsraum als Ort der Auseinandersetzung und Debatte. Wie wird unsere Erinnerung in Zukunft entstehen? Wie sieht die Rekonstruktion der Vergangenheit der Online-Gesellschaft demnächst aus? Das ist Thema der Ausstellung „The Future of Memory“.
Während Suchmaschinen, während Algorithmen, die wir selbst nicht schreiben, sich für uns erinnern, während Milliarden von SMS, Postings und Selfies – wir wissen schon wo – landen, verändert das Phänomen digitaler Aufzeichnung das kollektive Gedächtnis massiv. Wie manifestiert sich individuelle Erinnerung an Vergangenes, wenn bereits die Gegenwart gelöscht, wenn Bildchen und Messages in Sekunden verkonsumiert werden?
Welchen Spuren ist überhaupt zu trauen? In „Unfall am Mittelpunkt Deutschlands“ setzt Julius von Bismarck die Entstehung einer fiktiven Geschichte in Gang, in dem er vor Ort und schließlich per Foto einen Auto-Unfall mit einem VW-Golf inszeniert; genau an jener Stelle, wo in Thüringen 1991 eine Kaiserlinde als Zeichen für die Wiedervereinigung Deutschlands gepflanzt worden ist. Mehrere Mythen kommen da zusammen: die Raserei der Golf fahrenden Jugend der 1980er Jahre, die politische Einheit der Nation und überhaupt der Mythos der Authentizität des Bildes. Insgesamt hat die Ausstellung in der Kunsthalle Werkstatt-Charakter.
Opulent und wie in einem News-Room ist die Video-Wand der Dragana Žarevac, wo iranische, wo syrische Jugendliche oder auch Bewohner des Gaza-Streifens tanzend zu sehen sind. Die Arbeit „Resist: Disappearing Happiness“ geht von Pharrell Williams’ Erfolgsnummer „Happy“ aus. Mit fast 600 Millionen Hits auf YouTube kann dieser Mann wirklich lachen. Der Song wird in aller Welt tanzend performed. Solchen Bildern stellt die serbische Künstlerin Žarevac Aufnahmen realer politischer „Ereignisse“ gegenüber. Zurück bleibt wenig auf dem Google-Globus. „Happy“ auch nicht.
In diesem Nebeneinander von Realitäten bewegt man sich durch ein Soundgemisch: Florian Hecker ist mit einer elektroakustischen Komposition vertreten, deren Töne sich außerhalb des konventionellen Klangspektrums halten und per Richtlautsprecher wiedergegeben wird. Ein Video von Leon Kahane – mit einer einzigen stehenden Kamera aufgenommen – zeigt eine Demonstration der in der Schattenwirtschaft HongKongs arbeitenden domestic workers. Auf der Straße filmen diese sich selbst ab – und auch noch den Künstler. Dem Philosophen Jacques Rancière folgend fragt sich: Was wären die „anderen“, was die alternativen Bilder, wenn es nur noch Bilder gibt? Lassen sich überhaupt noch Standpunkte für Erinnerung, für Haltung herstellen?
Etwas lockerer inszeniert, aber ebenso Ergebnis eines umfassenden Forschungsprojekts ist die Ausstellung „Rare Earth“ im Kunstraum der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary. Rare Earth, das ist jene Gruppe von 17 Metallen, die vor allem im 18. und 19. Jahrhundert in seltenen Mineralien entdeckt worden ist. Heute werden diese Rohstoffe für Hightech Geräte oder Gadgets wie Mobiltelefone und Tablets, die unseren Alltag prägen, ausgebeutet. Nicht bloß Kritik am Raubbau ist Ausgangsmoment für die größtenteils neu entstandenen Werke. Wissenschaft ist auch mit Mythen, mit Bildern von Alchemie verbunden. Eine Installation von Marguerite Humeau bezieht sich auf eine okkulte Erzählung von H. P. Lovecraft und bringt in organisch-technoiden Skulpturen die Metalle selbst zum Erklingen.
Das holprige Kunst Haus Wien bleibt zwar weiterhin Plattform für Fotografie. Doch gemäß seiner Gründerfigur Hundertwasser bringt es auf einer neuen Schiene ebenfalls ökologische Themen. Mit Eröffnung eines zusätzlichen Projektraums, der Garage, sollen Künstler und Kreative anderer Bereiche Themen wie Nachhaltigkeit, Klimawandel oder Recycling verfolgen. Zum Auftakt ist der holländische Filmkünstler Guido van der Werve eingeladen. Die Bilder, die er schafft, erinnern oft an Caspar David Friedrich unterfüttert mit einer Prise Ironie.
Ist es möglich, aus all dem Ernst auszubrechen? Etwas witziger – und erfrischend – geht es in der Secession zu, wo Künstler/Kurator Ugo Rondinone „Artists and Poets“ in Dialoge setzt. Obwohl ein Pingpong von Lyrik und Kunst intendiert ist, kann man die Sprache ruhig mal abwerfen. Zumeist ist es Bild und Skulptur in lässiger, gegenseitiger Aufladung; jeweils zwei unterschiedliche Positionen konzeptuell gegenüber gestellt in extra geschaffenen räumlichen Situationen. Mit welcher Nonchalance doch in einem von Künstler geleitetem Haus gearbeitet wird!
So etwas wie Originalität strebte Elaine Sturtevant hingegen nicht an. Beeinflusst von der Ready-made-Idee des Marcel Duchamp basiert deren Werk bewusst auf Vorhandenem und nicht auf neu Erfundenem. Bereits existierende – zumeist sehr bekannte – Werke der Nachkriegsmoderne, und zuletzt sogar Videokunst, kopierte die Künstlerin fein säuberlich, bis es echte Sturtevants waren. Ein faszinierend eigenwilliges Œuvre, aus dem die Albertina derzeit das zeichnerische Werk zeigt.
Apropos: Ihre Pop-Art-Kopien verstand Sturtevant anfangs als ironischen Kommentar zu deren Vermarktung durch den Galeristen Leo Castelli. Mittlerweile ist das Genre zu einem Selbstläufer geworden. Mit 1295 Werken um 547,8 Millionen Euro ist Andy Warhol der meistverkaufte Künstler auf den Auktionen des letzten Jahres. Genauso wie das Kapital auf dem Kunstmarkt in Richtung Big Names fließt, konnten 2014 die vermögendsten Milliardäre der Welt ihren Reichtum auch wieder erhöhen.
Und wie geht es weiter? Die Biennale Venedig steht vor der Türe. Für den Österreich Pavillon wählte Kommissär Yilmaz Dziewior Heimo Zobernig. Wegen Zobernigs kontextueller Arbeit in unterschiedlichen Medien, dessen Interesse, Funktionsweisen und Wahrnehmungskonventionen im Kunstbetrieb kritisch freizulegen sowie seiner Auseinandersetzung mit Architektur eine plausible und spannende Position. Davor wird Heimo Zobernig in der Galerie Meyer Kainer unter anderem Malerei der letzten Jahre zeigen.
Weiter geht es auch an den Rändern. Als kulturelles Hybrid etabliert sich bei der Seestadt Aspern so nach und nach der „Salotto Vienna“. Oft bekommen Projekte Konturen, wenn man nur zulässt, dass sie noch relativ fragmentarisch starten dürfen. Zunächst war der Salotto, ja, eine konzentrierte Non-Stop Wien Präsentation aktueller Kunst und Kultur aus Wien in Triest. Mit dem Transfer von Idee und Infrastruktur inklusive dazugehöriger Designelemente für Bühne und Bar nach Wien Aspern entstand nun eine Plattform mit ziemlichem Potenzial für den Mix der kommenden Monate. Visuals, Outdoor-Lichtshow mit Neon Golden, Kurzfilmsalon, Kunstgespräch mit Hans Scheierl, Lesung von Stefanie Sargnagel, eine Kenyanische Nacht oder Elektronik-Sound mit Christina Nemec und dem schwedischen Musiker Olle Holmberg, noch dazu in selten derart hervorragend gehörter Tonqualität. Das per Website ausführlich beschriebene Programm mitzuverfolgen rentiert sich.
The Future of Memory
Eine Ausstellung über die Unendlichkeit der Gegenwart
Kurator: Vanessa Joan Müller und Nicolaus Schafhausen.
Kunsthalle Wien
bis 29. März
www.kunsthallewien.at
RARE EARTH
Kuratoren: Boris Ondreicˇka und Nadim Samman.
Thyssen-Bornemisza Art Contemporary
bis 31. Mai
www.tba21.org
Gudio van der Werve
KUNST HAUS WIEN
Untere Weißgerberstraße 13, 1030 Wien
20. März – 26. April 2015
www.kunsthauswien.com
ARTISTS AND POETS
Kuratiert von Ugo Rondinone.
Wiener Secession
bis 12. April
www.secession.at
Sturtevant
Double Drawing Reversal
Albertina
bis 10. Mai
www.albertina.at
Heimo Zobernig
Galerie Meyer Kainer
11. März – 18. April
www.meyerkainer.com
Biennale Venedig
9. Mai – 22. November
www.labiennale.org
Salotto Vienna
Seestadt Aspern / U2 Seestadt
jeweils Donnerstag – Samstag
www.salotto-vienna.net/aspern