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Woman of Many Faces

Isabelle Huppert – die Ausnahmeschauspielerin und Ikone des französischen Kinos wird 70 (* 16. März 1953 in Paris)

Elle (2016), R: Paul Verhoeven

Die kühle Intellektuelle des französischen Kinos, die Unnahbare: unerträglich, unwiderstehlich. Mitunter auch die Unauffällige: anwesend und abwesend zugleich, im Entzug, abstinent, dominant, kontrolliert. Einmal eine Verkörperung der Leere und der Langeweile: verschlossen, von einer anderen Welt, einem besseren Leben träumend. Oder aber mit unnachsichtiger Klarheit gegenüber sich selbst: ohne jedes Bedauern, gnadenlos profan, geschäftsmäßig beherrscht und mit kaltem, sezierenden Blick sich selbst konfrontierend – Isabelle Huppert: „Ich bin der Beweis für die Existenz des Nichts.“ Und immer ist da „das wehrlose Gesicht“, Hupperts Gesicht, dem Elfriede Jelinek 2006 aus Anlass einer Fotoporträt-Publikation einen Text unter diesem Titel gewidmet hat. Es ist eine durchgespielte begriffliche Denkpartitur, die um das Thema der „Schauspielerin als ultimatives Subjekt“ kreist.

Der Saustall / Coup de torchon (1981), R: Bertrand Tavernier

Die Anverwandlungskünstlerin

„Ihr Gleichmut kann bodenlos sein, ihre Härte unerbittlich, ihre Nacktheit vernichtend – selten war eine gewisse Gewöhnlichkeit so aufregend“, schrieb 2006 in „steadycam“ Michael Althen, der Isabelle Huppert weniger als Verwandlungs- denn als Anverwandlungskünstlerin betrachtete. Sein Titel: „Absorbiererin. Die Kunst, ungerührt zu sein“ assoziiert als Metapher Erkenntnisse der Astrophysik, die Vorstellung eines „Stern[s], der nicht strahlt, sondern alle Strahlung in sich aufsaugt. Als Star lebt sie quasi von einer negativen Energie, die merkwürdigerweise um vieles präsenter ist als die Ausstrahlung der meisten ihrer Kolleginnen.“

„Kino ist für mich wie ein Zauberberg“, heißt es in einem Interview mit Huppert von 1982, wo sie bereits ihr Hollywood-Abenteuer bei Michael Cimino (Heaven’s Gate, 1980) hinter sich hatte, welches das Ende von United Artists bedeutete. Ebenso zwei Rollen bei Jean-Luc Godard: das Mädchen vom Land, das in die Stadt kommt, um dort ihren Körper zu verkaufen in Rette sich, wer kann (das Leben), (1980); sowie die Arbeiterin mit einem Stottern, das unter Passagen klassischer Musik weitergeführt wird, die auch die Geliebte eines Regisseurs auf der Suche nach dem richtigen Licht ist (Passion, 1982). „Einen Film drehen heißt für mich, der Wirklichkeit zu entfliehen. Dabei lege ich in jede Rolle sehr viel meines eigenen Ichs hinein. Ich sehe verschiedene Versionen meines Ichs. So komme ich nicht dazu zu fragen, wer ich wirklich bin … Filmen ist auch ein bisschen ein Kampf gegen den Tod, eine Möglichkeit, um jeden Preis Spuren von sich zu hinterlassen.“

Das Tor zum Himmel / Heaven’s Gate (1980), R: Michael Cimino

Sich selbst finden im Blick der Regisseure

Die über fünfzigjährige Filmkarriere der französischen Film- und Theaterschauspielerin umfasst Hauptrollen in über hundert Filmen. Ohne sich auf einen bestimmten Rollentypus festlegen zu lassen, stand sie für viele bedeutende (Autoren-)Regisseure vor der Kamera, am häufigsten für Claude Chabrol. Aber auch für Godard, Michael Haneke, Werner Schroeter, Wes Anderson, Bertrand Tavernier, André Techiné, Maurice Pialat, Joseph Losey, Curtis Hanson, Andrzej Wajda, Benoit Jacquot, Olivier Assayas, Raul Ruiz, Jacques Doillon, Hal Hartley, François Ozon, Brillante Mendoza, Hong Sangsoo, Christophe Honoré, Marco Bellocchio, Claire Denis, Eva Ionesco, Guillaume Nicloux, Joachim Trier, Paul Verhoeven, und Neil Jordan. Ein Schlüsselerlebnis bleibt ihr Auftritt im monumentalen Spätwestern Heaven’s Gate (1980). Ein Film, der die Basis des Selbstverständnisses der amerikanischen Gesellschaft entmythologisiert. Regisseur Cimino wird bis heute als Visionär bezeichnet, der ein Werk der Poesie geschaffen habe, „das Gegenteil eines Hollywoodfilms, elegisch, melancholisch, subversiv, die schärfste Kritik an Amerika, die man sich vorstellen kann“ (FAZ, 15.3.2013). Sie ist stolz auf die Regisseure, für und mit denen sie gespielt hat.

Biester / La cérémonie (1995), R: Claude Chabrol

„I cannot imagine a life without cinema“

Lars Eidinger, ihr Partner in Die Zeit, die wir teilen (2022, Laurent Larivière) hielt auf der Berlinale 2022 anlässlich der Preisverleihung des Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk eine Laudatio an Isabelle Huppert. Die hemmungslose Liebeshingabe des Schriftstellers, den er in seiner Rolle neben Huppert verkörperte, war zu spüren. Eidinger sprach davon, dass es scheine, als würde sie gar nichts tun, während sich die volle Spanne der Ambivalenz in ihrem Ausdruck entfaltet. Alles wirkte darin gleichermaßen anwesend, aktuell wie virtuell. „It’s about recognition“: Die Wahrhaftigkeit ihres Schauspiels gründe sich unter anderem im „emotional delay“, der Verzögerung und Zurückhaltung. Es ist anders, als etwas „auszubuchstabieren“, wie es Die Zeit, die wir teilen an Stellen vorführt, wenn gewichtige melodramatische Themen angespielt werden. Isabelle Huppert, die an der Verleihung nicht teilnehmen konnte, aber aus Paris zugeschaltet war, hielt sich in ihren Dankesworten kurz aber umfassend: „I cannot imagine a life without cinema – at least my life … I love cinema in all its states, they are windows on the world. Cinema makes us feel better, makes us happy.“

Die Zeit, die wir teilen / À propos de Joan (2022), R: Laurent Larivière        

La Syndicaliste (FR, DE, 2022). Regie: Jean-Paul Salomé

Ausblicke

Es dürften mittlerweile an die 130 Titel sein, die ihre Filmografie zählt. Zwei Spielfilme mit Isabelle Huppert werden demnächst ins Kino kommen: Die Gewerkschafterin (2022, Jean-Paul Salomé), ein Verschwörungsthriller. Die Romanadaption handelt von der Gewerkschafterin Maureen Kearney (Huppert), die dubiosen Geschäften der Nuklearindustrie auf die Spur kommt. Im Kampf gegen übermächtige Gegner wird die Whistleblowerin, zu Anfang Opfer eines Überfalls, zwischenzeitlich kriminalisiert und pathologisiert.

Der Schatten des Caravaggio (2022, Michele Placido), Filmbiografie und Historiendrama, ist vom Hell/Dunkel in der Malerei Caravaggios inspiriert. Genau wie von Nachforschungen des päpstlichen Geheimdienstes gegen den Maler, bei dem ein Ermittler den Lastern und Tugenden des Malers auf die Schliche kommt. Isabelle Huppert spielt Costanza Sforza Colonna, die schützende Instanz für Caravaggio.

Nichts als Mysterium

„Auf welche Weise dient Isabelle Huppert der Figur, die sie verkörpert? Die Antwort ist immer sehr geheimnisvoll: Metamorphose. Cooler Vampirismus. Natürliche Verschwisterung zwischen ihr und ihrem Doppel. Keine Gewalt, kein Zwang. Die Grenze zwischen ihr und der Rolle ist unsichtbar, sie verläuft immer in ihr selbst. Isabelle Huppert zwingt den Zuschauer, ins Innere der Seele zu blicken, ins Innere des Körpers, ins Innere der Stille oder ins Jenseits des Spiels. Mit Körper und Seele. Bei Isabelle Huppert ist Kino nichts als Mysterium. Der eigenen Herkunft treu.“ (Serge Toubiana, Cinémathèque Française, 2006).

„Schauspielerin zu werden, ist keine Entscheidung. Man wird es einfach“ (Isabelle Huppert – Leben für den Film, 2022, Karel William, arte). Sie erinnert sich, wie sie bereits als Kind von ihrem Vater mit der Super-8-Kamera gefilmt wurde oder an die Schauspielkurse, zu denen ihre Mutter sie anmeldete. Sie erzählt von der ersten Begegnung mit Yves Montand und Romy Schneider beim Dreh von César et Rosalie (1972, Claude Sautet), wo sie Rosalies/Romys kleine Schwester spielte und die berühmte Kollegin als äußerst liebenswürdig und von großer Menschlichkeit erlebte. Genauso wie von ihren Anfängen auf der Leinwand in Bertrand Bliers Komödie Die Ausgebufften (1973).

Die Spitzenklöpplerin / La dentellière (1977), R: Claude Goretta

Rollen der Innerlichkeit

Im Schlussbild von Die Spitzenklöpplerin (1976, Claude Goretta) schaut Isabelle Huppert über die Schulter die Betrachtenden an. Ein empfindsamer, verstörter Ausdruck. Im Abspann fasst ein Text die Geschichte zusammen und verweist auf die Frauenporträts von Jan Vermeer: „Er ging an ihrer Seite, ganz dicht an ihrer Seite, aber er hat sie nie gesehen. Sie war eines jener Wesen, die sich nie bemerkbar machen, die man sorgsam ergründen und behüten muss. Früher hätte sich ein Künstler entschlossen, sie als Stimmungsbild zu malen und hätte sie genannt: die Näherin, die Wasserträgerin, die Spitzenklöpplerin.“ Ein junger Student aus großbürgerlichem Elternhaus und ein Lehrmädchen in einem Pariser Friseursalon lernen einander kennen, lieben sich, leben jedoch in verschiedenen Welten, unvermittelbaren Klassen. Die 23-jährige Huppert erlebt mit Die Spitzenklöpplerin in der Rolle einer verschlossenen, schüchternen, schamhaften Frau – einem Bild wie aus einem anderen Zeitalter –, ihren Durchbruch. Dafür, dass es zu keiner Fixierung auf den Typ des still leidenden Mädchens kommen konnte, sorgte Claude Chabrol (im direkten Anschluss mit Violette Nozière, 1978), dessen Heldinnen durchweg ambivalente Charaktere von äußerster Widersprüchlichkeit sind. Dieses Fragile wie Starke, Harte aber Sanfte, Unschuldig wie Bösartig konnte Huppert ideal verkörpern.

Der Loulou / Loulou (1980), R: Maurice Pialat

So unschuldig wie bösartig / Jeanne la postière

„An den ehrbaren Menschen stoßen mich viele Dinge ab, und es ist ganz bestimmt nicht das Böse, was mich abstößt“ – sinngemäß findet sich der Nietzsche-Satz in Chabrols Biester (1995) wieder und wird von einer Nebenfigur zitiert. Die bourgeoise Überheblichkeit der Familie, die eingangs am Esstisch ihres Hauses, für das sie eine neue Haushälterin suchen, sitzt, könnte allein schon rechtfertigen, dass man sie alle auslöscht. Huppert spielt „Jeanne la postière“ als Outcast jeder gesitteten Gesellschaft, in der bretonischen Provinz ein geduldeter Sozialfall, umstandslos direkt, spielerisch komödiantisch. Huppert entwirft eine ungemein ordinäre Göre ohne jeden Skrupel, stumpf, haltlos und zerstörerisch, mit mörderischen Affektdurchbrüchen. Unfassbar, wie sie die ernste, stille Analphabetin Sophie, die sich um die Haushälterinnen-Stelle bemüht und alles tut, um ihren Analphabetismus geheim zu halten, als Komplizin gewinnt und ihr vom Tod ihres kleinen Kindes erzählt, den sie, Jeanne, verschuldet haben soll – nur: Man habe eben nichts beweisen können. ‚Eine Geschlagene, also Verschlagene‘ heißt es irgendwo bei Thomas Bernhard. Die Opfer, die zu Tätern werden, die Unschuld, die in Abgründen von Bösartigkeit mündet – für derart ins Paradoxe gesteigerte Widersprüchlichkeit ist Huppert die Idealbesetzung, was die Komplizenschaft Claude Chabrols mit der jungen Schauspielerin begründete: „Isabelle ist immer präsent und distanziert zugleich“, hob Chabrol hervor. Im eigentlichen Sinne eine „Schülerin“ dieses erfahrenen Metteur-en-scène sei sie jedoch nie gewesen – niemand hätte ihr je etwas beigebracht. Man komme entweder miteinander aus oder nicht, erklärte sie im Mai 2009 als Präsidentin der Jury von Cannes. Gern hätte sie mit Hitchcock gearbeitet, nur sei es dafür zu spät gewesen.

Aktive Unterwerfung zu eigenen Bedingungen

„Ich verliere mich nicht in meinen Rollen, ich finde mich in ihnen.“ so Huppert. Sich im Blick der anderen und zunächst im Blick des Regisseurs finden. „Die Natur des Schauspielers ist im Innersten eher weiblich als männlich“, so Huppert. „Für eine Frau ist die Hingabe ein natürlicher Zustand, denke ich, vielleicht nicht für alle, aber auf jeden Fall für mich.“ Dass damit die Hingabe an einen Vater-Regisseur gemeint ist, daran läßt sie ebenfalls keinen Zweifel: „Schauspielerei ist die Suche nach einem Vater. Man sucht und findet ihn und möchte ihn verführen.“ (Vinzenz Hedinger, „Meteor“, 1999). Es handelt sich also um ein Kennzeichen für Hysterie. Insgeheim findet hier aber statt der passiven eine aktiv praktizierte Unterwerfung zu den eigenen Bedingungen statt, die Schauspielerin nimmt die Machtposition selbst ein, der sie sich unterwirft, sie verdrängt den Voyeur von seinem Blickpunkt. Das Objekt der Begierde vollzieht sein Betrachtetwerden durch sich selbst.

Konnte man angesichts ihres Verhältnisses zu Claude Chabrol von einer Vater-Tochter-Beziehung sprechen? „Er gibt mir selten Regieanweisungen“, erklärt Huppert 2005, „er führt mich vielmehr durch die Art, wie er filmt. Meist nimmt er mich in Naheinstellungen auf. Das erleichtert das Spielen sehr, weil dabei auch subtilere Dinge zur Geltung kommen können.“ (Berliner Zeitung, 24.8.2005).

Violette Nozière (1978), R: Claude Chabrol

Kinodenkerin

Ihr emotionales Engagement und die intellektuelle Teilhabe am eigenen Medium, dessen Vielseitigkeit, Wandelbarkeit und Erweiterungsfähigkeit sie in fast jedem Interview hervorhebt. Sie ist grundsätzlich, reflektiert und unerschöpflich. So hat sie das zentrale Organ der französischen Cinéphilie, die „Cahiers du cinéma“ 1994 als Kinodenkerin vorgestellt (mittlerweile verdienten ihre zahlreichen verstreuten Interviews, Statements, Erinnerungen eine eigene Edition). Nach bedeutenden Regisseuren war sie die erste Schauspielerin, die von der Redaktion eingeladen wurde, ein Sonderheft zu konzipieren (No. 477, „numéro special: Isabelle Huppert – autoportrait[s]“; März 1994). Darin diskutierte sie mit Regisseuren wie Philippe Garrel, Maurice Pialat und vor allem Claude Chabrol, der sie zwischen 1978 – Violette Nozière (Goldene Palme als beste Darstellerin in Cannes 1978) – und 2006 – Geheime Staatsaffären – mit der Hauptrolle in sieben Filmen besetzte. Davon brachte ihr Biester (1995) den César für die beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle der Jeanne ein.
13 weitere Male wurde sie für den César nominiert, 2017 folgte eine weitere César-Auszeichnung für den Film Elle (Paul Verhoeven). Huppert spielt darin eine Frau mittleren Alters, die vergewaltigt wird, aber nicht zur Polizei geht, sondern den Täter selber aufspüren will. Während der Film vom Thriller in eine Gesellschaftssatire übergeht, verfängt sie sich in einem Netz aus Begehren, Schuld und Lust.

Als Titelfigur in Violette Nozière (1978) spielt sie das Doppelleben des braven Mädchens, das im engen Dasein kleiner Leute vom Luxus träumt, während sie dabei ist, als Prostituierte mit Pelzkragen und Lippenrot den Weg dahin einzuschlagen und zur Giftmischerin wird. Einem analogen Muster folgt die Roman-Adaption Madame Bovary (1991). Zu deren Titelrolle soufflierte Chabrol (der davon ausging, mit seiner Adaption dem Romancier Flaubert filmisch am nächsten gekommen zu sein) seiner Hauptdarstellerin – eine basale Regieanweisung, wie sie Huppert gefallen haben dürfte. Genauso bleibt noch die Geschichte der „Engelmacherin“ im Vichy-Frankreich von Eine Frauensache (1988) zu erwähnen, in der die Heldin, eine kalte und geschäftsmäßige Abtreibungsunternehmerin, gnadenlos gegenüber ihren Opfern, zuletzt auf dem Weg zur Guillotine zusammenbricht.

Die Klavierspielerin / La pianiste (F/A/D 2001), R: Michael Haneke © Wega Film

Ewiges Rätsel menschlicher Tiefen und Untiefen

In Michael Hanekes Film Die Klavierspielerin (2001), einer Adaption des gleichnamigen Romans von Elfriede Jelinek, spielt Huppert die Klavierlehrerin Erika Kohut, die Jelinek als „phallische Frau“ beschrieben hat, welche den Blick dominieren wolle. „Mir gefällt diese besondere Sicht auf die Frau“, so Huppert (Berliner Zeitung, 11.10.2001): „Sie kontrolliert; sie beobachtet, ohne gesehen zu werden. Das war eine interessante Aufgabe für mich als Schauspielerin, die ja ständig mit dem Voyeurismus umgehen muss. Hanekes Film fragt danach, was es heißt zu dominieren und dominiert zu werden. Auch bei Erika und ihrer Mutter ist, wie in allen Beziehungen, das Verhältnis zwischen Meister und Sklave ständig in Bewegung.“ Eine Frau zwischen klassischer Musikkultur, Verkörperung der Hingabe, der Strenge und Zwanghaftigkeit sowie pornografischer Sehnsucht. Statt eines Gefühls gegenüber einem in sie verliebten Schüler kommt es nur zu einer SM-Regieanweisung, die nichts dem Zufall überlässt. „Einem atemberaubenden Parcours der Demütigungen, Erniedrigungen und selbstzerstörerischen Grausamkeiten liefert sie sich aus, bewältigt ihn meisterlich, in monströser Unschuld“ (Rainer Gansera) – „Man muss nur diesen Blick sehen, der die Männer in ihre Schranken weist, am Fluchtpunkt der Obsession. Ein Wiener Sexshop, gut besucht zur Abendstunde, eher aufdringliche Typen. Und dann diese kleine Frau, blass und schmal, in einem unauffälligen Regenmantel. Dünne Lederhandschuhe an den Händen, ein Hauch von Schutz. Sie wechselt Münzen an der Kasse und steuert direkt auf die Videokabinen zu, den Kopf gesenkt. Aber alle Kabinen sind besetzt. Also muss sie warten, mit dem Rücken zur Wand. Die Männer beginnen, sie unverhohlen zu mustern. Sie schiebt das Kinn ein wenig vor, was ihre Züge noch klarer und schärfer macht, und begegnet den Blicken. Und plötzlich liegt ein Flackern in diesen Augen, wie ein Brodeln aus flüssigem Stickstoff, der alles, was mit ihm in Berührung kommt, in Sekundenschnelle einfrieren kann. Da schaut niemand zu lange hin. “, (Tobias Kniebe: Der heißkalte Kuss der Spinnenfrau, SZ, 22.5.2001). Für Huppert, so Kniebe, sei „jeder Film eine Untersuchung mit offenem Ausgang, eine Hypothese über das ewige Rätsel menschlicher Tiefen und Untiefen“.

Betrachtet man Filmfotos von Huppert aus der ungeheuren Vielfalt ihrer Rollen, so tritt einem eine Frau vor Augen, die sich ähnlich sieht, aber nie dieselbe ist.

 

 

| FAQ 69 | | Text: Jörg Becker
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