Als Ernst Molden seine Berufe als Journalist bei der Presse, Dramaturg und Hausautor im Schauspielhaus und als Romancier nacheinander an den Nagel hängte, um ausgerechnet am Höhepunkt der Wiener Elektronik als Singer-Songwriter mit deutschen (!) Texten sein Glück zu suchen, hielten ihn viele für wahnsinnig. Die Kraft des frühen Austropop lag längst im Grab, und Männer mit Gitarren, Liedern und einem Schlagzeuger wurden bestenfalls ignoriert. In diesem Umfeld startete Molden seine Versuche, meist begleitet von Drummer Heinz Kittner und einer Zuschauerschar, die sich in eher engen Grenzen hielt. Doch auch die vereinzelten Zuschauer wunderten sich über die kaum fassbaren Texte – und über den Besessenen, der in jedem Umfeld an seine Kunst glaubte. Molden war stets klar, dass er auf Unterstützung von Radiosendern nicht hoffen durfte, ausschließlich auf Konzerte angewiesen war und einen Zuhörer nach dem anderen überzeugen musste. Eine harte Schule voller Rückschläge. Aber im Laufe der Jahre und der Lieder, die ihm nie auszugehen schienen, war er unterwegs zu sich selbst. Während dieser nie endenden Wanderung wurden die Songs klarer und offener. Immer öfter sprang der Funke über. Heute schließen die Zuhörer bei Songs wie „Es Lem“ oder „Ohne Di“ die Augen und singen tief bewegt mit.
Triest
Wir treffen Ernst Molden am Vorabend zu den Aufnahmen zu seiner 14. Platte, die im April erscheinen und den schönen einprägsamen Titel „Yeah“ tragen wird. Als Nachfolger von „Ho Rugg“ konzipiert, wird er mit Willi Resetarits, Walter Soyka und Hannes Wirth nach Triest aufbrechen und in einer Villa die neuen Songs aufnehmen. „Das Album wird nicht so ruppig wie ‚Ho Rugg‘, es schwingt aber die leichte Morbidezza mit, die dieser Stadt entspricht. Durch die vielen Konzerte, die wir zusammen gespielt haben, sind wir uns so nahe wie noch nie. Wir haben uns einmal beim Willi zusammengesetzt, ich habe die Texte und die Akkorde ausgegeben, wir haben es gespielt und es hat gepasst.“ Die Nähe der vier Musiker zeigt sich auch im Aufnahmeprozess: „Früher haben wir auf Band mit acht Spuren aufgenommen, das gab dem Techniker noch geringe Mixmöglichkeiten. Bei ‚Yeah‘ sparen wir uns die acht Spuren und mixen es im Moment der Aufnahme auf das Stereoband. Willi meinte: ‚Das ist mutig‘. Meine Antwort war: ‚Willst feig sein?‘“
Live, live, live
Die Anzahl der Konzerte, die Molden per annum mit dem Quartett, dem Damenorchester, dem Nino aus Wien, mit Hans Theessink oder solo spielt, liegt seit ein paar Jahren konstant bei etwa 100. Um noch genug Zeit zum Schreiben und für die Familie zu haben, liegt das Ziel zwar jedes Jahr bei rund 70, aber es werden auch heuer wieder mehr werden. Aus der Fülle der Konzerte ragte eines im letzten Jahr heraus: Das Quartett wagte sich im Frühsommer mit den Strottern auf die Bühne des schönsten Open-Air-Geländes von Wien, das der Arena. „Wir haben fünf Tage vorher geprobt und vor der Probe sagte Clemens Lendl von den Strottern: ‚Warum setzen wir uns nicht zusammen hinauf? Jeder nimmt ein Viertel mit, einmal musiziert ihr, einmal musizieren wir, und wer mitspielen will, der soll das machen.‘“
Als Augenzeuge kann ich nur feststellen, dass selten alles so zusammenläuft wie an diesem Abend. Ich habe nach Konzertende trotz einsetzenden Regens noch nie so viele glückliche Gesichter gesehen.
„Es war einer der zwei oder drei schönsten Auftritte im letzten Jahr“, erinnert sich Molden, „aber es war im Vorfeld ein echter Stress und wir haben den Druck gespürt. Auf der Bühne war es dann ein Traum. Wir haben die Jausenstimmung prolongiert und es war für mich als Landstraßer und jahrzehntelangen Arenabesucher magisch, auf das Gelände hinauszuschauen.“Eine Wiederholung am gleichen Ort wird heuer nicht stattfinden, aber im Stadtsaal wird es wieder ein Treffen mit den Strottern geben, und dort wird es sicher nicht regnen.
Recordings
Wenn Sie diese Ausgabe in den Händen halten, wurde das Label „Bader Molden Recordings“ bereits zum Leben erweckt und die erste Veröffentlichung liegt vor. Warum werden Molden und sein langjähriger Manager und Wegbegleiter Charlie Bader nun auch Labelbetreiber?
„Wir machen es für Menschen, die wir schätzen, die aber noch nie so aufgenommen haben, wie wir sie gerne gehört hätten. Es gibt keine vertragliche Bindung mit den Künstlern, sondern es ist ein editorischer Ansatz. Wir gehen zum Künstler. Im Fall von Sibylle Kefer haben wir sie gefragt: ‚Warum singst du nicht einmal in der Sprache, mit der du aufgewachsen bist und mit der du die ganze Welt bezauberst?‘ Ich habe die Platte selber produziert und meine erweiterte Band hat mitgespielt – Walter Soyka, Heinz Kittner und so weiter. Im Mittelpunkt stehen Sibylles Stimme, ihre Gitarre und ihre wunderschönen, berührenden Lieder. Ihr Leben, der Wille, immer Musik zu machen und nie aufzugeben, ist ja auch das Wunder meines Lebens. Das Label ist ein Abenteuer, und als Sohn eines Konkursverlegers bin ich mit solchen Sachen sehr vorsichtig, aber nach 18 Jahren mit Charlie Bader können wir das wagen. Die zweite Veröffentlichung des Labels heuer wird ein neues Album von Robert Rotifer sein. Der wird das alleine in Canterbury aufnehmen und es wird dann im Herbst erscheinen.“ Auch hier ist eine neue künstlerische Überraschung zu erwarten.
Wien
Wen die Fernbedienung schon einmal zum Wiener Stadtsender W24 geführt hat, der kann dort nicht nur endlose Bezirksporträts sehen, sondern auch Sternstunden des billigen und immer spannenden Bildungsfernsehens genießen: „Schau ma“ nennt sich die Sendung, in der uns Ernst Molden in Begleitung von Walter Soyka und Gästen wie Ursula Strauss, Gerald Votava oder Agnes Palmisano an seine Lieblingsplätze in Wien und Umgebung führt, Geschichten über die Orte erzählt und natürlich das eine oder andere Lied anstimmt. Die Auswahl ist natürlich biografisch geprägt und so darf das Strandbad Kritzendorf ebensowenig fehlen, wie der Schwarzenbergpark oder der Wurstelprater. Für diese Sendung könnte es keinen Berufeneren geben, denn kaum jemand fühlt seine Stadt so wie Molden – und kaum jemand kann mit derartiger Lust und Hingabe Geschichten aus und über seine Stadt erzählen. Da liegt die Frage nahe, was sich seiner Beobachtung nach in den letzten beiden Jahrzehnten in Wien verändert hat.
„Die Espressos, wie man sie im Autorenfilm der Siebziger oder in den Kottans sieht, sperren zu, die Strizzis, wie sie Hanno Pöschl 40 Jahre lang gespielt hat, gehen in Pension. Aber die Befindlichkeit sowohl der Espressos, als auch der Strizzis, als auch das wonnigliche Suhlen in dieser Befindlichkeit ändern sich nicht. Es steht ja auch der Wien-Fan aus dem Ausland drauf. Die Sprache ändert sich, aber sie wächst auf demselben Acker. Auch der Dialekt stirbt nicht aus, er ändert sich. Der Nino hat mir erzählt, dass sie ungefähr drei Jahre der Pubertät auf einem Bankerl im Donaupark verbracht haben und drei Wörter hatten: ‚Eh‘, ‚Voll‘ und ‚Ur‘. Das ist Wienerisch, genauso wie ‚Gemma Lugner‘ oder andere Phrasen der Jugend im 15. und Umgebung. Es ändert sich vieles, aber es ändert sich nicht der Triumph der Lässigkeit, der Wien ausmacht, vor allem im Vergleich zu allen deutschen Städten. Am ehesten kommen da noch München und Hamburg auf Ihre Art heran. Aber Berlin und den Rest kannst du vergessen, gegen Wien sind das Knochen, die in Särgen rascheln.“
„Es ändert sich hier auch die Geschwindigkeit eigentlich nicht. Es ist sicher viel passiert in den letzten 20 Jahren. Bei Zilk war viel Show dabei, unter Häupl wurde es etwas autoritärer. Ich habe jetzt ein Konzert in einer Buchhandlung in der Seestadt gehabt und die Leute, die dort hingezogen sind, sind nicht in den Outskirts verschwunden. Nein, sie leben auf eine Art in Wien, und es lässt sich dort leben, weil es dort schön ist. 1987 habe ich am Samstagabend um halb zwölf auf dem Weg über den Stephansplatz keinen Menschen getroffen, heute brauchst du zur gleichen Zeit eine halbe Stunde, um den Platz zu überqueren. Wien ist die südlichste Großstadt des Sprachraums, wir haben einen Fluss, eine uralte, sehr gemischte Geschichte und eine multinationale Gesellschaft. Das ist gewachsen in 1000 Jahren und das kriegt man mit ein bisschen Moderne nicht weg. Ich will auch kein Pessimist sein. Wenn ein Kaffeehaus zusperrt, dann sperrt irgendwo ein anderes auf.“
Ein Chronist des Wien- und Wienertums, der nicht den Pessimismus des Bildungsbürgertums vor sich herträgt wie einen Schild und auch nicht die gute alte Zeit beschwört, die sich vor allem aus feindlichen Grautönen zusammensetzte – auch das ist Ernst Molden.