Young, gifted and black“ sang Nina Simone in ihrem berühmten Song. „There was a billion boys and girls who are young, gifted and black. And that’s a fact.“ Das Lied war Lorraine Hansberry gewidmet, der ersten afroamerikanischen Autorin, von der ein Stück am Broadway gezeigt wurde. Fast hundert Jahre nach ihrer Geburt macht ein anderer Theatermacher Furore, auf den das Lied ebenso zutrifft: Raja Feather Kelly. Ihm ist heuer ein kleiner Schwerpunkt beim sommerlichen ImPulsTanz-Festival gewidmet, das auch heuer zwischen 15. Juli und 15. August wieder zahlreiche Performances und noch zahlreichere Workshops nach Wien bringt. Die New York Times hat Kelly als den „hot dance master of the moment“ beschrieben und als „go to choreographer for Off-Broadway shows“. Und doch heißt eines seiner Werke UGLY (Black Queer Zoo).
Warum habe ich Angst?
Auf seinem eigenen Blog ist zu lesen: „In unserer Welt scheint Feather Kelly privilegiert zu sein. Er lebt in South Slope, hat einen Hund, wahrscheinlich einen süßen Freund, er wurde immer wieder in der New York Times abgebildet, er macht Tanz – aber warum fühlt er sich hässlich und traurig? Warum hat er Angst und ist wütend, und warum, oh warum, fühlt er das Kommen des Weltuntergangs?“
Raja Feather Kelly wurde in Texas geboren, zog später nach New Jersey und ist mittlerweile in Brooklyn beheimatet. Er studierte Englisch – seine Arbeiten zeichnet bis heute ein großes Interesse an Sprache aus – und Tanz. Die Leidenschaft für Bewegung begleitete ihn von Beginn weg, bezeichnend die Episode einer frühen „audition“: Seine Mutter schickte einfach ein Video von ihm an eine Dance Company, in welchem er auf einem Parkplatz zu Michael Jackson tanzte. Seit diesen ersten Anfängen hat seine Karriere steile Fahrt aufgenommen. Kelly ist Leiter seiner eigenen Company „the feath3r theory“, mit der er bisher fünfzehn abendfüllende Stücke produzierte, hat unzählige Preise gewonnen, unter anderem den renommierten Bessie-Award, trat für diverse Choreografinnen und Choreografen als Performer auf, hat mit dem Pulitzerpreis gekrönte Stücke und Musicals choreografiert und ist auch sonst das, was man so beiläufig den heißen Scheiß nennt. Um noch einmal die New York Times zu zitieren: „Man verlässt eine Aufführung von Raja angesteckt von seiner Neugierde, seiner Liebe zum Handwerk und seiner schlichten Unverschämtheit.“
Warum fühle ich mich hässlich?
Warum also, um auf seine eigene Frage zurückzukommen, warum fühlt er sich hässlich? Warum nennt er sein Stück gar „UGLY“ in Großbuchstaben? In einem Interview hat er einmal versucht, diese Frage zu beantworten. „Im Jahr 2016 erlebten wir ein katastrophales Ereignis“, sagte er in Bezug auf die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. „Danach bestand der Wunsch, sich dem Weiterbestehen von Rassismus, Homophobie, Transphobie, Sexismus und Fremdenfeindlichkeit zu stellen.“ Er selbst behandelt diese Themen in seinem Werk zentral, wirbelt Bilder von Queerness und Hautfarbe, Selbst- und Fremdzuschreibungen durcheinander. Hässlichkeit also als Kampfbegriff gegen all diese Zuschreibungen? Kelly benutzt für seine Stücke stets ein Mittel, das der Zeit und der Gesellschaft eingeschrieben ist wie kein anderes: die Populärkultur. Seine Arbeiten bedienen sich bei Reality-TV, Promi-Kultur und Social-Media-Inhalten, er zapft Musik und Kultur der Gegenwart an allen Ecken und Enden an. Doch dann geht er einen Schritt weiter, dekonstruiert dieses Material, baut es neu zusammen, um über den Umweg der Populärkultur zu etwas Tieferem zu kommen. „Als würde Andy Warhol am Set von RuPauls Drag Race auf David Lynch treffen, mit einem Kommentar von James Baldwin“, hat er es selbst einmal beschrieben. „Gesamtkunstwerk“ nennt er das Ergebnis denn auch – Wagner würde wohl im Grab rotieren. Und doch soll das Ergebnis all der harten Arbeit ganz konservativ eine Selbsterkenntnis des Publikums sein, ein Verstehen, wie Medien die eigenen Wünsche, Beziehungen und Identitäten formen: „Do we make culture or does culture make us?“ Darin ist er seinem Vorbild Andy Warhol ganz nah, der ihn geprägt hat wie niemand sonst und über den er zahlreiche Stücke, Texte und Blogbeiträge verfasst hat. Es ist Raja Feather Kellys „Warholian“ way, die übermedialisierte Gegenwart wieder zum Menschen zurückzuführen.
Wie schützen wir Gemeinschaft?
Überhaupt der Mensch, der steht für Kelly immer im Zentrum seines Tuns, auch abseits der Bühne. Er engagiert sich in Community-Arbeit und versucht den Begriff der Gemeinschaft auch mit seiner Company zu thematisieren, für deren Mitglieder er Verantwortung trägt, mit denen gemeinsam er Projekte entwickelt. „Gemeinschaft. Was ist das?“ hat er dem Online-Magazin Hyperallergic als für ihn momentan wichtigste Frage genannt. „Wie bewerten wir Gemeinschaft neu? Wie denken wir über unsere Bemühungen nach, Gemeinschaften zu schaffen, zu schützen und zu erhalten.“ Eine Frage, die sicherlich durch die Bedrohung marginalisierter Gruppen in (nicht nur) den Vereinigten Staaten entstand und angesichts der Isolierung der letzten Corona-Zeit an Wichtigkeit noch gewonnen hat. Überhaupt hat Kelly die Quarantäne fast in den Wahnsinn getrieben, braucht er doch Menschen um sich, um kreativ zu sein. Umso besser also, dass er bei ImPulsTanz nun wieder vor einem Publikum auftreten kann: „Meine Stücke sind Zusammenkünfte der Gemeinschaft und eine Feier unserer Geschichte, unseres Lebens und unserer Hoffnung.“
Ein glamouröses Pop-Alien
Drei seiner Stücke, die zusammen eine lose Trilogie ergeben, sind nun im Rahmen von ImPulsTanz zu sehen. Zuallererst das schon erwähnte „UGLY (Black Queer Zoo)“, ein Solo zwischen Tanzperformance und Popkultur-Collage. Außerdem „Hysteria (Ugly Part 2)“, in dem Kelly als glamouröses Alien versucht, die Verdrängung der Subjektivität aus der Populärkultur rückgängig zu machen. Und schließlich „UGLY Part 3: BLUE“ als Uraufführung und Abschluss der Pop-Queer-Empathie-Trilogie. Hier will Kelly das Ausgegrenzte (Black Queer Zoo) und das Fremde (Hysteria) der afroamerikanischen Subjektivität in eine Zone der Einfühlung, also „nach Hause“ führen. Nach dieser Beschreibung immer noch keine Ahnung, was die Abende wirklich bereithalten? Keine Sorge. Auf die Frage, was einen nun tatsächlich erwartet, hat Kelly nur eine Antwort: „You’ll just have to come and see it to find out!“ Und wer mehr als nur zusehen will, der kann im Workshop „Honest Reactions to Imaginary Situations“ selbst Teil der Kelly-Community werden. Noch am überlegen? Wie sagt Kelly selbst so schön: „I’m not going to let anyone tell
me no.“
UGLY (Black Queer Zoo)
21. Juli + 23. Juli — Schauspielhaus
Hysteria (Ugly Part 2)
31. Juli + 2. August — Kasino am Schwarzenbergplatz
UGLY Part 3: BLUE
13. + 15. August — Kasino am Schwarzenbergplatz