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Zeilenkunst

Text: Ballhausen Thomas | Fotos: Archiv

In den letzten Jahren zeichnet sich mit zahlreichen Neu- und Wiederveröffentlichungen eine Renaissance des französischen Avantgardisten Georges Perec im deutschen Sprachraum ab. Mit „Träume von Räumen“ liegt nun ein zentraler Text aus dem umfangreichen Œuvre Perecs vor. Der ursprünglich 1974 erschienene Band ist in mehrfacher Hinsicht wesentlich für das Verständnis dieses Autors – und zugleich auch eine ideale Einführung in seine literarisch-philosophische Wunderwelt. Perecs systematische Alltagserforschung mit den Mitteln literarischer Formenvielfalt, seine ungewöhnlichen, doch eindeutig bestechenden Perspektiven auf Subjekt und Raum sind unübertroffen. Wenn er mit der „Seite“ startet, über das „Bett“ und das „Mietshaus“ zum „Viertel“ gelangt, u.a. „Stadt“, „Land“ und schließlich sogar die „Welt“ hinter sich lässt, um beim „Raum“ zu landen, verfolgt er weniger ein Programm der Vollständigkeit oder gar die Begründung einer eigenen Raumtheorie, denn vielmehr ein persönliches, hochgradig reflexives Durchspielen selbstauferlegter Kategorien. Die oft nur wenige Seiten umfassenden Kapitel sind dichte literarische Beschreibungen, die in ihrer Vielfältigkeit zu nichts weniger anstiften wollen, als zu einer Neuausrichtung im Denken über Raum: Dabei ist Perecs Experimentieren nicht nur unter dem Vorzeichen des Autobiografischen – insbesondere die traumatische Prägung durch die Shoah – zu lesen, sondern auch als Auseinandersetzung mit der Bildenden Kunst als Referenz: Paul Klee oder Saul Steinberg sind nur zwei Positionen, auf die er sich ganz deutlich bezieht. Perecs werkübergreifendes Projekt einer Weltaneignung qua literarischem Schreiben lässt sich zumindest für das vorliegende Buch als ein Schreiben im Sinne Klees definieren, in der die Aufgabe der Künste eben nicht in der Wiedergabe des Sichtbaren zu finden ist, sondern in der Sichtbarmachung an sich.

In ähnlicher Weise ist wohl der Gedicht- und Notizenband der Künstlerin Rebecca Horn zu lesen und zu verstehen. Mit diesen Texten, die aus dem Zeitraum 1972-2013 stammen, gelingt ihr ein Brückenschlag zu ihren Installationen, filmischen und fotografischen Arbeiten, ihren Plastiken und Objekten. Neben der Dokumentation ihres mannigfaltigen Schaffens spielt Horn mit diesen Aufzeichnungen aber auch klar die literarischen Qualitäten des Lyrischen aus: Sie geht über die eigenen Arbeiten hinaus, erschließt Räume und Erinnerungen. In persönlichem Tonfall wird eine Innenansicht von Horns Ansätzen greifbar, ihre künstlerischen Vorlieben, ihre Positionsarbeit als auch biografische Momente gewinnen eine sprachliche Kontur und Gestalt.

Die Verhandlung von Erinnerung und Geschichte mit den Mitteln der Kunst steht auch im Zentrum von „Die Tür“ der kanadischen Erfolgsschriftstellerin Margaret Atwood. Zwischen Ironie und Wahrheit pendelnd, führt sie das Wissen der Dichter vor, immer beobachtend und auf die Einbrüche des Unerwarteten achtend: „Mein Job: Ich sehe in der Dunkelheit.“ Keineswegs zimperlich adressiert sie rückblickend die Ansammlungen eines reichen Lebens, befragt die Toten und thematisiert den unaufhaltsamen Ver lauf der Zeit. Zärtlichkeit geht dem zweisprachigen Band aber trotzdem keineswegs ab: „Es gibt so viel zu verteidigen.“

Georges Perec

Träume von Räumen

Zürich: Diaphanes Verlag, EUR 13,40

Rebecca Horn

Das Wirbelsäulen Orakel

Ostfildern: Hatje Cantz, EUR 25,70

Margaret Atwood

Die Tür: Gedichte

Berlin: Berlin Verlag, EUR 23,70

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