Linz an der Donau, Ostern 2011. Eine kräftige Aprilsonne heizt die Landstraße, eine Lebensader der gewesenen Stahlstadt, auf. Wie aufgefädelt drängen sich die Outlets der handelsüblichen Produktpaletten, neben gelegentlichen Bankfilialen und überschaubaren gastronomischen Angeboten. Die nominelle Fußgängerzone wird ab und zu befahren von Straßenbahngarnituren, einem Polizeiauto auf Streife oder einem Taxi. „D’Sunn brennt owa“, wie Skero im Gassenhauer „Kabinenparty“ singt, der ihn weit über die HipHop-Gemeinde und das FM4-Publikum hinaus bekannt gemacht hat. „Wir bleiben im Parkbad, wir machen Party in Kabine“ ist allerdings keine Option, das größte Linzer Freibad ist noch geschlossen. Anders eine Hartlauer-Niederlassung unweit der Goethekreuzung, wo sich ein jüngerer Skero und Philipp „Flip“ Kroll, einer der vier MCs von Texta, vor gut zwei Jahrzehnten unbekannterweise gegenseitig Schallplatten versteckten, wenn das nötige Kleingeld nicht bei der Hand war, um das Objekt der Begierde käuflich zu erwerben.
Geboren wurde der heute 39-jährige, großgewachsene Skero (eigentlich: Martin Schlager) in Mödling, wo er den Kindergarten besuchte, bevor der Job des Vaters die Familie nach Linz führte. Die Adresse am Froschberg, fast schon in Leonding, rückte das Nacht- und Kulturleben der drittgrößten österreichischen Stadt in Reichweite eines Fahrradausflugs. Vor allem der Rückweg bergauf stellte immer wieder eine Herausforderung für die manchmal alkoholbeeinträchtigte Kondition Skeros dar. So tauchte er in das vitale Umfeld des Kulturzentrums Kapu ein, eine Erfahrung, die er auf keinen Fall missen möchte. „Es war eine Revolution, als ich endlich ein Moped gehabt habe, betrunken bin ich auf Schleichwegen über den Römerberg nach Hause gefahren.“ Im unweit einer Kirche gelegenen ehemaligen Jugendzentrum der Sozialistischen Jugend prägten Punk, Hardcore und Gitarrenmusik ursprünglich die subkulturelle Praxis. Neben europäischer und US-amerikanischer Hardcore-Prominenz bespielten spätere Millionen-Seller wie Nirvana oder Green Day den kleinen Bühnenraum, der mit 100 Besucherinnen und Besuchern mehr als gut gefüllt ist.
Dort holte man sich Energie und Inspiration, die sich parallel in lokalen Bands manifestierte. So spielten die Texta-MCs Flip, Klaus „Laima“ Leimer und Harald „Huckey“ Renner in einschlägigen Formationen, fanden aber schließlich 1993 gemeinsam mit Daniel Reisinger aka DJ Dan und Skero in Texta das zwingende Vehikel ihrer mehr und mehr von HipHop gekickten musikalischen Ambitionen. Dabei dachten sich anfangs nicht nur Gitarrenjünger – im freundlichsten Fall – „Was soll der Scheiß?“, als holprige Beats und ungelenke, wenig elegante Reime von der Bühne in der Kapuzinerstraße 36 tönten. Was Texta nicht daran hinderte, sich mit ständig wachsenden Skills an die Spitze einer rasch größer werdenden (lokalen) Community zu setzen, die HipHop zum primären Soundtrack und Ausdruck ihres Lebensstils und -gefühls machte. In den 18 Jahren ihres Bestehens gelang es Texta, mit ihrer Musik weit über Stadt- und Landesgrenzen hinaus wahrgenommen zu werden. Ein Prozess, dessen Beginn für Skero flankiert wurde von den HipHop-Platten seines Bruders, begünstigt vom Umstand, dass die HipHop-Kultur Raum bot für eine andere, ebenso prägende künstlerische Leidenschaft. „Gezeichnet habe ich schon, bevor ich Musik machte.“ Graffiti-Kunst, Break-Dance und Rap – das ist die oft beschworene Dreifaltigkeit des Genres. Seinen Künstlernamen leitet Martin von den Street Artists Dero (New York) und Skki (Paris) her. Sein aktuelles Studium der Malerei in Wien sieht er als Weiterführung dieser Leidenschaft, „um micht mit Kunst genauer zu beschäftigen und um mehr über Kunstgeschichte zu lernen, was auf der Grafischen eher flach war.“
Musikalisch ging es ihm nie darum, den gern und viel gehörten US-amerikanischen HipHop 1:1 ins Deutsche oder Österreichische zu übertragen, sondern einen anderen Weg zu gehen. „Auf Englisch zu rappen, hat mich nie interessiert“. Ein House-Track mit dem Titel „I Never Wash My Hair Again“ blieb der einzige (unveröffentlichte) Versuch, anglizistischer Skero-Vokalkunst, die Heidelberger Crew Advanced Chemistry zeigte anders als die drögen Fanta4 einen tauglichen Kurs auf, die deutsche Sprache zu prägnanten Beats zu nutzen, um Geschichten zu erzählen und sich Reime auf Gott und die Welt zu machen.
Rhythmus, Klang, Farbe
Zum Interview im Schanigarten eines Cafés in der Nähe des Wiener Karlsplatzes, wo Skero gemeinsam mit S.K. Invitational und Lylit das Wiener Popfest 2011 eröffnen wird, fährt der Neo-Popstar stilgerecht mit dem Rad vor. Er spricht davon, dass sich die drei Faktoren „Rhythmus, Klang, Farbe“ von jeher durch seine Arbeit ziehen. Spricht vom Versuch, sich beim Variieren des künstlerischen Umgangs damit nicht zu langweilen, nicht sich selbst und nicht das Publikum, dabei die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten auszubauen. Aktuell arbeitet er am Beitrag zu einer Ausstellung in Spielfeld in der Steiermark, wo ein überdimensionales Regal unter anderem mit von Skero animierten regionalen Kochrezepten befüllt wird. Die geplante Umsetzung einer Anleitung für „gegrilltes Meerschweinchen“ als Legetrick ist viel versprechend.
Als Musiker hat er aus dieser offenen Haltung heraus 2009 das Soloalbum „Memoiren eines Riesen“ veröffentlicht. Um außerhalb der eingespielten Texta-Arbeitsweise Dinge auszuprobieren und auf HipHop-Basis spielerisch Schlenker in Richtung Wienerlied („Künstler“) und andere Genres und stilistische Zugänge zu unternehmen, aber ebenso, um zu versuchen, mit Tools wie Facebook oder You Tube ein breiteres Publikum zu erreichen. Zum Titel merkt Skero an, dass er es sehr mag, Dinge etwas entrückt oder abgesetzt von der Wirklichkeit darzustellen und „märchenhaft“ zu überhöhen. Wurde „Künstler“ ( „… ist deine Kunst noch so schön / hat sie keiner gehört oder gesehen, hat es sie eigentlich gar nicht gegeben / drum hör zu, was ich dir sag / zuerst musst du einmal was erleben“) ebenso brav wie vorhersehbar von Radio FM4 aufgegriffen, dem Medium, in dem sich Texta und Umfeld traditionell ereignen, entwickelte „Kabinenparty“, eines von 18 Stücken des Solo-Albums, eine andere Dynamik. Basierend auf dem Instrumental „Popozuda Rock´n´Roll“ von De Falla aus Brasilien wurde der Track, begleitet von einem launigen Video, mit einiger Verzögerung 2010 zum waschechten Hit. Der sich laut Skero „52 Wochen in den Charts hielt, damit hab’ ich sogar den DJ Ötzi um eine Woche geschlagen“. 30.000 verkaufte Singles brachten Platin und Auftritte in Großraumdiscos. Parallel zu den subversiven Signalen im Video und im Text versuchte Skero dort, eine andere Qualität von „Party!!!“-Musik sichtbar zu machen, ohne dass er sich da großen Illusionen hingibt. „Die Leit’ san schon sehr resistent“. Das Ankommen im Mainstream zeitigte neben einer Vielzahl skurriler Erlebnisse, „die ein Buch namens ,1 Jahr in der Kabine‘ füllen würden, das ich aber nicht schreiben werde“, den Effekt, dass für den freischaffenden Künstler größere Haushaltsausgaben endlich ohne Aufnahme eines Kredits zu bewerkstelligen waren und das persönliche Budget nicht mehr vom Überziehungsrahmen des Kontos defininiert wird. Nicht so positiv bewertet Skero das Erlebnis, ungefragt als „Dancing-Stars“-Kandidat gehandelt zu werden. Oder, ohnehin gestresst von anstehenden Gigs, Thomas Rabitsch am Telefon zu haben, der nach dem Instrumental seines Hits für die ORF-Sendung „Helden von Morgen“ fragt. Und zwar egal, ob Skero das jetzt passt oder nicht. „Sonst bauen wir’s halt nach.“ Dabei ist Skero viel zu geerdet, um nur im Ansatz die unter ihrem oberflächlichen Ruhm leidende sensible Künstlerseele zu geben.
Grotesk
Für den Auftritt beim Popfest verspricht er zwei neue Solostücke, hat aber keinen sonderlichen Stress, ein zweites Soloalbum nachzuschießen. „Erst einmal Beats finden, die mir taugen.“ Dazu gilt es, das Texta-Album „Grotesk“ mit Live-Auftritten – deren Gagen immer noch die größte Einkommensquelle Skeros darstellen – zu promoten. Mit dessen 14 Stücken ist es der fünfköpfigen Truppe abermals gelungen, sich „frisch zu halten und neue Themen anzugehen“ wie Skero sagt. Eine konsequent vergnügliche und hochklassige Angelegenheit, deren Popappeal und Sprachwitz, locker zwischen Dialekt und Hochsprache switchend, weit über dogmatischen HipHop hinaus geht. Mit „You Are Driving Me Wild“ wird der Texta-interne Diskurs nach außen gestülpt und dabei nicht zuletzt der „Erfolg“ von Skero karikiert und in Frage gestellt, der für die interne Dynamik der Gruppe nicht nur gut war. „Des war mei letzte Strophe / i tat’ gern in Pension geh’, und die neichen Texta-Tracks san a ka Kanone“ vokalisiert er in klassisch-koketter Wiener Raunzer-Pose („für an Wiener sad’s es Linzer scho komische Menschen“, ätzt er anderswo im Stück) worauf Huckey trocken antwortet „mit dei’m Soloalbum hast ja eh a nix grissen / außer bei die Hirschen in die Großraum-Discos“. Dieses herrliche „Es sich gegenseitig hineinsagen“ der Crew, die 2013 ihr 20-jähriges Jubiläum feiern würde, hatte eine durchaus kathartische Wirkung sagt deren Hauptstadt-Außenstelle. Die hoffentlich gewährleistet, dass „die depperten Texta-Debatten“ noch einiges länger vorhalten und dabei noch mehr so tolle Musik abfällt. Dabei sieht sich Skero definitiv nicht als 60-jähriger Elder Statesman des „Austrian concious rap“ immer noch über irgendwelche Bühnen hirschen. Dazu gibt es zu viele andere Ideen, denen nachzugehen und die auszuloten ihn reizt. Wenn auch das Computerspiel zu „Kabinenparty“ an zu hohen Entwicklungskosten gescheitert ist, gibt es immer noch ein mit Sugar B verfasstes Drehbuch für einen „Moped-Roadmovie“, das darauf wartet, fertiggestellt und verfilmt zu werden. „Das wird dann mein endgültiges Scheitern“ sagt Skero, erzählt noch von einem Public-Enemy-Gig in Berlin und schwingt sich lachend auf sein Rad.