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Zwei glorreiche Bleiflüsse

ORF/Lion Television/LAT Photographic

Nach dem Ende der Formel-1-Saison 1976 schrieb die Reporterlegende Heinz Prüller in einer Saisonrückschau folgenden Satz: „Hätten Lauda und Hunt die wahre Geschichte der Grand Prix Story 1976 im Kino gespielt, als Hauptdarsteller – keiner hätte ihnen geglaubt.“

Ausfälle

Lange Jahre blieb dieser Satz unangetastet und das Duell der gegensätzlichen Charaktere bot jede Menge Stoff für Motorsportfans im besten Alter, die Jugend-erinnerungen austauschten und ihre Helden hochleben ließen. Und natürlich dienten solche Gespräche auch dazu, die heutige durchorganisierte, bis ins Letzte kommerzialisierte und meist stinklangweilige Formel 1 mit den goldenen Jahren zu vergleichen. Diese goldenen Jahre zeichneten sich durch Bruchpiloten wie Vittorio Brambilla aus und Teams wie Ensign, Hesketh, March oder Surtees, die ihre Autos in alles andere als hochwertigen Werkstätten zusammenbauten. Gleichzeitig waren die Freundinnen der Fahrer, die an der Boxenmauer mit unhandlichen Tafeln für die Kommunikation mit ihren Liebsten sorgen und die Rundenzeiten und Abstände anzeigten, ein stetes Fressen für Fotografen und Boulevardpresse. Über all der Coolheit und Lässigkeit des damals schon von Bernie Ecclestone geleiteten Formel-1-Zirkus schwebte aber auch die Gefahr. Von 1970 bis 1975 waren mit Piers Courage, Jochen Rindt, Jo Siffert, Roger Williamson, Francois Cevert, Helmut Koinigg und Mark Donohue sieben Fahrer während des Trainings oder des Rennens tödlich verunglückt. Dazu kam noch die Nachricht, dass Ende 1975 der englische Altmeister Graham Hill und die neue englische Hoffnung Tony Brise bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen waren. Das Risiko, die nächste Saison nicht mehr zu erleben, war also sehr hoch. Diesen Gedanken musste jeder der Fahrer verdrängen – zumindest bis zum nächsten Begräbnis eines Kollegen.

Die Zwei

In diesem Klima der Todesverachtung und unbe-dingten Liebe zur Geschwindigkeit startete die Grand-Prix-Saison 1976, die bald zwei Hauptdarsteller hatte: auf der einem Seite James Hunt, dessen Vater Börsenmakler war, der einen Eliteschulabschluss vorzuweisen hatte und eher zufällig in den Rennsport stolperte. Das vorgesehene Medizinstudium interessierte ihn nicht, also war Bruder Zufall gefragt: „Ein Freund nahm mich 1966 zu einem Clubrennen nach Silverstone mit, weil sein Bruder mitfuhr. Ich war wie vom Schlag getroffen, weil mir plötzlich klar war: Motor-Racing ist genau das, was ich tun will.“ Hunts Antrieb ist der Thrill, den er auf der Rennstrecke erlebt, die Rad-an-Rad-Duelle, die Genugtuung des Überholens und die Lust, die Bremse noch ein paar Meter später als die Konkurrenten anzutippen. Der Rest ist ihm ziemlich egal: „Als ich an meinen ersten Autos selber arbeiten musste, hat mir vor den Metallteilen und dem Schmieröl echt gegraust. Ich mag auch Autos heute nicht besonders, aber das Rennfahren erweckt mich erst zum Leben. Gleichzeitig erschreckt es mich zu Tode.“

Auf der anderen Seite der regierende Weltmeister Niki Lauda, ebenfalls ein Spross aus reichem Haus, der vor der Matura die Schule verließ und seit seiner Pubertät das Ziel, Rennfahrer zu werden, verfolgte. Er überwarf sich deswegen mit seiner Familie, aber der Name garantierte ihm Kredite, mit denen er sich den Einstieg in den Rennsport und die Formel 1 finanzierte. Die Banker hätten sich wohl darauf verlassen können, dass der Papa im Fall der Fälle die Raten bediente. Lauda galt bald als Prototyp des Tüftlers, der stundenlang über Fahrzeugabstimmungen reden konnte. Ihn faszinierte die Technik, aus einem Auto das Maximum herauszuholen, befriedigte ihn zutiefst. Das Rundherum, die Society und der Glamour waren dem jungen Lauda ebenso egal wie sein Aussehen. Er sieht seinen Vorteil in der optimalen Vorbereitung und der Abrufbarkeit seiner eigenen Leistung, nicht im Eingehen des maximalen Risikos. Er war es auch, der sich als erster Rennfahrer mit Willi Dungl einen Fitness- und Ernährungsberater an seine Seite holte.

Rush

Rush widerlegt nun den eingangs zitierten Satz von Heinz Prüller. Hollywood nahm sich der Geschichte der Gegenpole an und stellt auf der einen Seite James Hunt, den Partylöwen, der gerade seine Frau Suzy an Richard Burton verliert und auf der anderen Seite Niki Lauda, den pedantischen Strategen, dem zwischenmenschliches eher fremd ist, in den Mittelpunkt. Drehbuchautor Peter Morgan ist ein Spezialist für Duelle auf jeder Ebene: Er schrieb das Drehbuch zu Frost/Nixon, der filmischen, ebenfalls von Ron Howard inszeniert Auf-arbeitung eines Fernsehduells, das Geschichte schrieb – Talkmaster David Frost brachte im Verlauf einer Interviewreihe Richard Nixon dazu, seine unheilvolle Rolle in der Watergate-Affäre drei Jahre nach seinem Rücktritt vom Präsidentenamt öffentlich einzuräumen. Morgan verfasste auch das Buch zu einem Kleinod der Sportfilmgeschichte, The Damned United. Hier misst sich der junge Fußballtrainer Brian Clough im Verlauf seines kurzen Engagements bei Leeds United mit seinem populären Vorgänger Don Revie, scheitert jedoch an dessen übergroßem Schatten – und vor allem an sich selbst. Rush, The Damned United und Frost/Nixon spielen alle in den siebziger Jahren und zeichnen sich durch eine fundierte Auseinandersetzung des Autors mit den Charakteren seiner oft noch lebenden Vorlagen aus.

Regisseur Ron Howard, deklarierter Fan der Drehbücher von Peter Morgan, ist einer von Hollywoods solidesten Handwerkern, er setzte etwa Blockbuster wie Apollo 13 oder The Da Vinci Code in Szene. Seine Inszenierung sorgt für eine kongeniale Atmosphäre, mit der die siebziger Jahre nahezu perfekt rekonstru-iert werden. Auf dieser Basis entwickelt er den Konflikt zwischen dem romantischen Helden James Hunt und dem Ehrgeizling Niki Lauda, der in Laudas schweren Unfall einen dramtischen Höhepunkt erlebt.

Bergwerk

Am 1.August 1976 stürzte am frühen Morgen die Wiener Reichsbrücke ein. Am Nachmittag startete der große Preis von Deutschland am Nürburgring, dem längsten Kurs der Welt. James Hunt fuhr zwar Trai-ningsbestzeit, aber eigentlich war Niki Lauda, der komfortabel in der Weltmeisterschaft führte, der neuerliche Titelgewinn nicht zu nehmen. In der zweiten Runde fährt Lauda im Streckenabschnitt Bergwerk mit einem Hinterrad etwas über einen Randstein, dann bricht der Ferrari aus, durchschlägt mit 200 km/h zwei Maschendrahtzäune und prallt dann gegen die Böschung. Lauda verliert beim Aufprall den Helm, der Tank ist lädiert und fängt Feuer. Die Autos von Brett Lunger, Guy Edwards und Harald Ertl prallen noch gegen den Ferrari, sie steigen aus und rennen zu Lauda, ein Williams Ford mit Arturo Merzario am Steuer bremst ab.

Exkurs

Letzterer wurde zum vergessenen Helden. Mit Arturo Merzario war in der Saison 1973 nach langer Zeit wieder ein italienischer Fahrer bei Ferrari und die Hoffnungen waren groß, dass er und Clay Regazzoni Ferrari wieder zu alter Größe führen könnten. Diese zerschlugen sich aber, da das Auto nicht mithalten konnte. Die Folge war, dass Merzario Platz für den Newcomer Lauda machen und von nun an mit wirklichen Gurken im letzten Drittel des Feldes sein Renn-fahrerdasein fristen musste. Dass daraus auch eine persönliche Abneigung entstand, war kein Wunder. Es war nun genau der kleine, drahtige Merzario, der am Nürburgring ohne zu zögern ins Feuer stieg, den Gurt öffnete, Lauda aus dem brennenden Ferrari zog und ihm das Leben rettete. Auch diese Geschichte wäre wohl ein Stoff für Peter Morgan.

Siegeswille

Dass Lauda aufgrund der Verbrennungen mit dem Tod kämpfte, und nach sechs Wochen in Monza wieder im Cockpit saß, ist bekannt. James Hunt nutzte den Ausfall des Kontrahenten und schob sich in der Weltmeisterschaft heran. Lauda punktete nach seiner Rückkehr, aber Hunt holte weiter auf und es kam zum Showdown in Japan. Kurz vor den Rennen fragte Lauda Hunt, ob er unbedingt heuer Weltmeister werden wolle. Die Antwort kam prompt: „Unbedingt heuer, erstens kriege ich eine solche Chance vielleicht nie wieder, zweitens brauche ich den Titel als Krönung meiner Karriere, damit ich frei bin, jederzeit abzutreten. Ich will nicht ewig weiterfahren … bis ich mich eines Tages umbringe.“

Im Regen und Nebel von Fuji kalkulierte Lauda sein Risiko, fuhr an die Box und stieg aus. Hunt musste nun Vierter werden um die WM zu gewinnen. Er fuhr als Dritter über die Ziellinie und beide schrieben sich in die Geschichtsbücher ein. Daniel Brühl als Niki Lauda und Chris Hemsworth als James Hunt geben den exemplarischen Figuren Leben und schaffen es mit ihren Darstellungen nicht nur, die Zeit hochleben zu lassen, sondern einen ewigen Konflikt in einen ebenso authentischen wie spannenden Film zu verwandeln.

Und wie ging die Geschichte weiter? James Hunt trat 1979 vom aktiven Rennsport zurück, arbeitete als Kommentator für die BBC, ließ weiter keine Party aus und erlag 1993 im Alter von 45 Jahren einem Herz-infarkt. Niki Lauda wurde noch zweimal Weltmeister, gründete seine eigenen Fluglinien, sitzt im Aufsichtsrat der Air Berlin, ist Aufsichtsratsvorsitzender des Formel-1-Teams von Mercedes, pflegt seine Werbe-verträge und ist daneben als Experte für RTL tätig.

 

ORF1 zeigt am 12.Oktober 2013 um 22 Uhr die Dokumentation

„Das Duell  Niki Lauda gegen James Hunt “


RUSH

Drama/Biopic, USA/Deutschland/Großbritannien 2013

Regie Ron Howard Drehbuch Peter Morgan Kamera Anthony Dod Mantle

Schnitt Daniel P. Hanley, Mike Hill Musik Hans Zimmer

Production Design Mark Digby Kostüm Julian Day

Mit Daniel Brühl, Chris Hemsworth, Alexandra Maria Lara,

Olivia Wilde, Natalie Dormer, Christian McKay, Sean Edwards,Pierfrancesco Favino

Verleih Constantin Film, 123 Minuten

www.rush-film.de

| FAQ 24 | | Text: Günther Bus Schweiger
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