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Zwischen Retro Und Perspektive

Text: Schöny Roland | Fotos: Press

Wo auch immer die Kunstmesse „VIENNA-FAIR The New Contemporary“ als bedeutendste Plattform für zeitgenössische Kunst aus Zentral-, Ost- und Südosteuropa tituliert wird, klingt dies relativ abgerundet. Hinter deren kulturellem Engagement, hinter der einzigartigen Marke verbirgt sich jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher individueller Geschichten und diskursiver Traditionslinien. Auch wenn die ehemals postkommunistischen Staaten längst zu neuen Ländern der EU wurden, wirken die Spuren aus der Zeit vor 1989 weiterhin nach.

In Rumänien ist die Entwicklung der Kunstszenen und damit auch der Räume und Flächen für Ausstellungen und Diskussion das beste Beispiel dafür. Die Kunstszenen sind aufgespalten zwischen dem kleinen Club in Siebenbürgen und der Hauptstadt Bukarest, wo sich die Widersprüche bereits in der Architektur manifestieren. Das Museum Moderner Kunst dort ist im Dachgeschoß des unter Nicolae Ceauşescu errichtetem gigantischen Wahnsinnsbau namens „Palast des Volkes“ situiert, in einer rundum brüchigen Repräsentationsarchitektur größer als das Pentagon. Währenddessen ist die Bukarest-Biennale einem Eiertanz zwischen Mini-Kunsträumen und kulturpolitischer Vereinnahmung ausgeliefert. Zuletzt trat deren designierter Kurator Nicolaus Schaffhausen von seiner Position zurück.

Manche Galerien und Kunsträume in dem noch dazu in verschiedene Baustile zwischen Art déco und Bauhaus, zwischen orientalischen und italienischen Motiven, zwischen Plattenbauten und kommunistischem Zuckerbäckerstil zerteilten Bukarest befanden sich anfangs an den Orten ehemals staatlicher Ausstellungszentren. Erst in jüngster Zeit lockert sich die Situation. Nach Jahren ideologischer Auseinandersetzungen und scharfer Konkurrenz im Kampf um lokale Subventionen und internationale Finanzierungen bilden sich allmählich Kooperationen und Dialoge.

Kein leichtes Geschäft also für Kuratorin Andreiana Mihail, wenn die kulturelle Situation insgesamt einem ziemlich brüchigen Puzzle entspricht. Besonders absurd aber wäre es da, sich auf eine gewisse Strömung zu konzentrieren oder gar auf das Label „young art“ zurückzugreifen. Selbst jüngere Künstlerinnen und Künstlern sind noch beeinflusst von der vielerorts traditionellen Ausbildung an den Akademien und versuchen, wie etwa Alexandru Rădvan (*1977), in der Malerei Bezüge zwischen klassischen Mythen und der Gesellschaft der Gegenwart herzustellen. Stilistisch irritierend zwischen allen Formen des „post“, der Postmoderne und dem Post-Realismus des Sozialismus und natürlich klassischen Motiven oszilierend.

Matei Arnăutu (*1978) hingegen arbeitet in Instal-lationen mit diversen Gegenständen, die er in verschiedenen Abschnitten seines Lebens gefunden und aufbewahrt hat. Manche davon sind bereits seit Kindheitstagen Bestandteil der Lebenswelt des Künstlers, wodurch sie Anteil an der Konstruktion seiner subjektiven Geschichte haben.

Andreiana Mihail bezeichnet als einen der übergreifenden Momente der Ausstellung den chronologischen Aspekt, der sich sowohl entlang lebensgeschichtlicher, wie auch gesellschaftlicher, historischer Linien ziehen lässt. Wir befinden uns jedoch auf einer Messe. Daher sind auch Galerien und Kunsträume ein Auswahlkriterium. Hier und vor allem durch die dortige Zweigstelle in Berlin bekannt ist etwa Galeria Plan B; 2005 auf Initiative von Mihai Pop und Adrian Ghenie im rumänischen Cluj als kleiner Kunstraum gegründet. Plan B fungiert auch als Forschungszentrum für rumänische Kunst der letzten Jahrzehnte und organisierte 2007 die Ausstellung im rumänischen Venedig Pavillon.

Ebenfalls zwischen diskursivem Kunstraum und Galerie situiert ist ATELIER 030202, 2009 von Künstler und Kurator Mihai Zgondoiu gegründet. Der Schwerpunkt liegt – im Kontext der Szene von Bukarest gesehen – auf experimentellen Projekten und elektronischen Medien. In verschiedensten Arbeitsweisen, in Malerei, Grafik, in Videos und Performances geht Zgondoiu ironisch an verschiedene eingefahrene kulturelle Muster und formale Strategien in der Kunst heran.

Um noch einmal den Begriff des Chronologischen zu bemühen – in diesem Fall gemeint als historischen Längsschnitt – sei die von der Jecza Gallery aus Timisoara präsentierte Sigma 1 Group erwähnt; als eines der Beispiele konzeptueller Kunst im staatlichen kommunistischen Regime. Auf Grundlage der 1966 gegründeten Group 111 wurde die Initiative mit dem Ziel ins Leben gerufen, eine Neuorientierung in der Kunstproduktion des einzuleiten. Indem sich die Sigma 1 Group vor allem mit Psychologie, Kybernetik, Bionik und Mathematik befasste und Fotografie und Film einbezog, gelang es ihr, in der Entwicklung experimenteller Ausdrucksformen wie Videoinstallation und Happening Bahnbrechendes zu leisten. Mihai Olos (geb. 1940) ist einer der wenigen Künstler, der – vergleichbar mit Paul Neagu – in seinen Performances originäre Techniken ländlichen Bauens mit zeitgenössischen künstlerischen Strategien verbindet. Heute ist der Maler, Grafiker, Bildhauer und Dichter beispielsweise für seine gemeinsam mit Joseph Beuys in den frühen 1980er-Jahren geschaffenen Skulpturen bekannt.

Mehr als 30 verschiedene künstlerische Positionen, präsentiert von fünf Galerien – Anaid Art Gallery, Anca Poterasu Gallery, Jecza Gallery, Galeria Plan B und Zorzini Gallery – sowie den zwei Non-Profit-Spaces ATELIER 030202 und ALERT studio hat Andreiana Mihail für diesen Rumänien Schwerpunkt ausgewählt. Es ist ein teils irritierendes Panorama, das zum einem zeigt, wie stark die frühen konzeptuellen Strömungen unter extrem rigiden Bedingungen waren, und andererseits dokumentiert, wie die Kunst heute sich einzuschleifen beginnt auf die Umschlagplätze internationaler Diskurse.

VIENNAFAIR The New Contemporary

Vienna International Art Fair

2. – 5. Oktober 2014

Messe Wien, Österreich

Halle A, Messeplatz 1, 1020 Wien

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