Drei Jahre lebte Hubert Sauper (Darwin’s Nightmare, We Come as Friends) in Kuba, wo er an der Internationalen Filmschule in Havanna unterrichtete. Was kaum jemandem möglich ist, nämlich mit der Kamera durch das von der US-Wirtschaftsblockade gezeichnete Land zu streifen, nutzte Sauper, um einen „Blick von innen“ auf eine im Revolutionsmodus eingefrorene Gesellschaft zu werfen. Vier Jahr nach dem Tod des Máximo Líder Fidel Castro findet Sauper aber nicht nur Schulkinder, die mit Lehrfilmen auf den antiimperialistischen Kampf eingeschworen werden, sondern auch das Bedürfnis nach Freiheit oder einfach nur einer Begegnung mit Mickey Mouse verspüren. Die These von Saupers essayistisch-impressionistischem Flaneur-Trip „Epicentro“ ist, dass Kuba so etwas wie der Kulminationspunkt zweier großer widerstreitender Ideologien ist: der USA als „Land der Freiheit“ und Kuba als Land des Sozialismus. So begegnet einem in der kubanischen Propaganda der ehemalige republikanische US-Präsident Theodore Roosevelt, der nach dem Vorbild von Buffalo Bill eine Reitertruppe namens „Rough Riders“ zusammenstellte und sich in edler Westernmanier gegen politische Feinde aller Art in Szene setzte. Es begegnen einem aber auch kubanische Kinder, die perfekt auf die Rhetorik der Revolutionspropaganda eingeschworen sind und dennoch gerne die seltene Gelegenheit nutzen, in den Swimming Pool eines Luxushotels der Imperialisten zu springen. Auch darin liegt ein kleiner Sieg. Sauper versucht nicht, die Widersprüche, die ihm begegnen, aufzulösen, sondern zeigt eine Insel voller Paradoxa. Die Transition auf Kuba scheint in vollem Gang, aber noch wird der Mythos Fidel hochgehalten.
FAQ: Ihr Film scheint seinen Ausgang vom Gedanken zu nehmen, wie Narrative unsere Welt bestimmen. Das revolutionäre Kuba wird so etwas wie ein Kulminationspunkte, an dem zwei Ideologien aufeinanderprallen: die der USA und die von Castro. Was genau steht hinter dem Gedanken?
Hubert Sauper: „Epicentro“ ist kein Film über Kuba, sondern er ‚spielt‘ in Kuba. Worum es mir im Film geht, sind zwei Gegensätze: um die kubanische Revolution und den American Dream. Aber eigentlich sind das nur zwei Versionen eines einzigen Gedanken-experiments, das 500 Jahre alt ist und ‚Utopia‘ heißt. Sowohl die USA als auch Kuba haben Teile davon realisiert. Und bei beiden ist die Gefahr groß, sich zu einer Dystopie zu entwickeln. (Lacht.)
Wie sind Sie auf diese Interpretation gekommen, ist Ihnen das in Kuba aufgefallen?
Das Projekt hat unabhängig von Kuba begonnen, mit einem Buch von meinem Cousin Johannes Schmidl. Er hat über Utopie und Energie geschrieben, ein Themenkomplex, der uns beide schon lange beschäftigt hatte. Schon als Jugendliche haben wir über solche Fragen philosophiert. Das grundsätzliche Problem ist, dass die Konstruktionen, die sich Menschen von einer idealen Welt immer schon gemacht haben, meistens schief gegangen sind.
Interessant, dass im Film immer wieder ein Mädchen als erzählerische Instanz auftaucht. Sie gibt einerseits die Propaganda der kubanischen Revolution wieder, andererseits ist sie einfach nur ein Kind mit bestimmten Bedürfnissen. Was erzählen diese Kinder vom Regime oder aus dem Leben?
Das interessante an Kindern in dem Alter ist, dass sie zwar Kinder sind, aber zugleich auch schon von einem politischen Erwachen zeugen. Annielys ist natürlich schon das Produkt dieser konfliktreichen Narrative. Einerseits plappert sie die kubanische Revolutionspropaganda nach, andererseits reflektiert sie auch die Verhältnisse. Da geht es um die Fantasie von einer anderen Welt, vom großen Amerika und dessen Freiheiten.
In einer Szene geben Sie sich als amerikanischer Tourist aus und nehmen Annielys und ein zweites Kind mit in eines der teuren, amerikanischen Hotels, die sich kein Kubaner leisten könnte. Sie schmuggeln die Kinder kurzfristig gewissermaßen aus Kuba hinaus.
Ja genau, und dort oben am Dach ist ein Swimmingpool, in den Annielys dann gleich gesprungen ist. Aber nicht deshalb, weil der Pool so toll ist, es war ja schon Nacht und recht kühl. Sondern es ging darum, eine Fantasievorstellung einzulösen, die sie im Kopf hat. Das ist so ein Moment, wo man sieht, dass sich die Leute im Kreuzfeuer dieser Ideologien befinden. Für mich ist der wichtigste Aspekt der Szene der Ungehorsam gegenüber der Macht. Ein Aspekt, der wahrscheinlich die ganze kubanische Revolution so attraktiv macht: das Aufbegehren gegen die Kolonialisten und Imperialisten. Dass wir uns in das Sieben-Sterne-Hotel schleichen konnten, war insofern ein Riesentriumph.
Zugleich spürt man im Film trotz aller Reglementierung dieser Gesellschaft auch die Attraktion des Anderen.
Ja, das sieht man auch an dieser Frau, die vielleicht 25 Jahre alt ist, und sich in der Nacht auf der Straße ihr Geld verdient. Sie spricht zwar davon, dass der Imperialismus demütigend für die Kubaner ist. Andererseits sagt sie, dass sie davon träume, in Disneyland einmal die Micky Mouse zu sehen. Das ist ein unglaubliches Paradoxon. Das gilt für die ganze Insel.
Wie haben Sie selbst sich in Kuba bewegt, wie sind Sie zu Ihren Bildern gekommen? Ein Kubaner sagt, Kuba wäre ein schönes Land, aber es sei ein Land nur für Touristen. Wie war es für Sie, dort zu filmen. Muss man sich auch aus diesem Blick der Bevölkerung erst einmal befreien?
Jeder Mensch aus dem Westen ist in Kuba zuerst einmal ein Tourist. Ich selbst bin da auch nur ein Teil des Systems, das ich kritisch betrachten möchte, egal wo ich mich in der Welt bewege. Ich selbst war zu Beginn auch ein Reisender, der westliches Geld in der Tasche hat und sich dort ein kühles Bier um drei Dollar kauft, was für einen Kubaner bereits eine kleine Utopie ist. Aber ich versuche natürlich, meine Filme nicht so anzulegen, dass es eine Sicht von außen ist, sondern eine andere Position einzunehmen. Ich war ja drei Jahre in Havanna, weil ich dort an der Internationalen Filmschule unterrichtet habe. Ich hatte meine Wohnung, war dort ansässig. Aber natürlich bin ich dadurch nicht zum Kubaner geworden. (Lacht.) Ich war in meinem Viertel bekannt als der so genannte‚ komische Filmemacher‘ oder ‚Filmprofessor‘, wodurch ich schon eine andere Position hatte als ein Tourist.
Das Engagement an der Filmakademie als Schlüssel für die Innenansichten von Kuba?
Ja, das war so etwas wie die Green Card für Kuba. Man kann sich als Ausländer ja keine Wohnung nehmen und dort leben. Das ist nicht legal. Da muss man vom Regime schon geduldet werden, sonst kann man gleich wieder abzischen. Wenn man so wie ich in der Nacht mit der Kamera unterwegs wäre, würde man wohl im Gefängnis landen. Als Tourist muss man dort bleiben, wo man hingehört, in den Touristen-Ghettos. Bewegt man sich außerhalb, ist man natürlich suspekt. Aber das ist gar nicht nur in Kuba so, diese Entwicklung findet man auf eine gewisse Weise auch in der ganzen Welt immer häufiger. Bilder werden in unserer Zeit immer wichtiger, und zugleich rechtlich immer stärker reglementiert. Wenn man in Nordamerika filmt und jemand geht im Hintergrund, kann diese Person Ansprüche auf das Urheberrecht anmelden. Es ist sogar möglich, dass, wenn man in Zukunft den Eiffelturm oder das Empire State Building im Bild hat, dass der Architekt oder dessen Urenkel Urheberrechtsansprüche stellen. Das ist kompliziert, aber das ist ein anderes Kapitel.
Was in Ihren Bildern deutlich wird, ist zwar, dass die Propaganda des Castro-Regimes nicht nachlässt: Kinder sitzen in Schuluniform vor einem aufgespannten Leintuch und werden mit kurzen Filmen über die US-amerikanischen Imperialisten belehrt. Zugleich wird aber auch deutlich, dass sich dieses System schon ziemlich abgenützt hat. Haben Sie Kuba noch in einer ganz bestimmten historischen Phase gefilmt?
Die Transition hat mit dem Tod von Fidel Castro und dem Besuch von Barack Obama begonnen. Damals hatte die ganze Welt damit gerechnet, dass das System zusammenbrechen wird. Das war aber nicht der Fall. Zwar behaupten Touristen, die früher schon dort waren, Kuba hätte sich sehr verändert. Aber das ist Unsinn. Was sie sehen, ist, dass es dort jetzt diese Fünf-Sterne-Hotels in den Touristen-Ghettos gibt. Aber sonst hat sich wenig verändert. Es wird wirtschaftlich von Jahr zu Jahr härter, weil das amerikanische Embargo so brutal greift. Bislang hat es aber nicht funktioniert, die Castros so zu Fall zu bringen. De facto zahlen nur die Menschen drauf. Das ist eine Riesengemeinheit bei all diesen Embargos.
EPICENTRO
Dokumentarfilm, AT/FR 2020 – Regie, Drehbuch Hubert Sauper
Kamera Hubert Sauper Schnitt Hubert Sauper, Monika Grassl
Sound Design Veronika Hlawatsch Produktion Groupe Deux,
KGP Filmproduktion, Little Magnet Films
Österreich-Premiere – Viennale 2020