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Da war diese irrsinnige Energie

Text: Andreas Ungerböck, Fabian Burstein | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Es findet sich nirgendwo eine Erklärung, was der Name Minisex eigentlich bedeutet …

Das ist relativ einfach. In den späten Siebziger Jahren, als wir uns gefunden haben, war Wien eine andere Stadt, als wir sie heute kennen. Wien war eigentlich tot, im Sinne von grau, wenig erlebnisorientiert, wenig Entertainment –und alle haben einen Beistrich vor Angst in der Unterhose gehabt. Also, Wien war wirklich elendiglich. Da hat man nach Dingen gesucht, die herausragen aus dieser Ödnis. Es hat zum Beispiel nur fünf Lokale in ganz Wien gegeben, wo man als etwas munterer Mensch hingehen hat können. Es gab ein einziges italienisches Lokal.

Bratislava und Prag waren definitiv nicht rückständiger als Wien, und Moskau schon gar nicht, Moskau war sicher sehr viel mehr Erlebnis als Wien. In der Zeit hat man geschaut, dass man so ein kleines Licht anzündet, ein provokatives Licht. Damals hat man mit gewissen Dingen, die nicht zusammen passen, wie zum Beispiel Mini und Sex, noch provozieren können, weil eigentlich muss Sex immer maxi sein – maximal und super. Bei unseren ersten Auftritten, vor allem in der Provinz, haben die Leute natürlich geglaubt, spätestens nach 30 Minuten kommen die Oben-ohne Girls. Das war damals noch anders als heute. Heute kann man alles sagen, es wirkt nichts mehr provozierend. Damals war völlige Ödnis, in dieser Nach-Aufbauzeit, wo die Menschen erst langsam wieder anfingen, so etwas wie ein Einkommen zu haben, die Landesgrenzen zu überwinden. Die ersten Fernreisen fanden zu der Zeit statt. Das gab es ja alles vorher nicht.

Anhand der aktuellen Veröffentlichung der Best-of-Doppel-CD „Maximum Minisex“ erkennt man schon auch, was noch für eine Sehnsucht da ist nach diesem Lebensgefühl der Achtziger Jahre, nach der Musik, usw. Warum funktioniert das nach wie vor? Zwischendurch waren die Achtziger ja auch schon mal ganz pfui …

Diese Geschichte, dass man Dinge in der Rückschau töten muss, das ist einfach ein ganz normaler Reflex im Entertainment –- und durchaus manchmal auch im Kulturbereich, wobei wir von Minisex uns ja eher immer im Entertainment-Bereich gesehen haben. Es ist aber eine nicht zu leugnende Tatsache, dass auch sehr viel Gutes in den Achtziger Jahren entstanden ist, wie beispielsweise eine regionale österreichische Musikszene, in Wien, in Linz, usw.

Diese New-Wave- und Punk-Bewegung – wir waren nie Punks, aber New Waver, die adretten Kinder des Punk, zu denen haben wir schon ein bisschen gehört – hat ermöglicht, dass man gesagt hat: Lass es uns machen! Diese Aufbruchstimmung! In jedem Dorf im deutschsprachigen Raum wurden Initiativen und Bands gegründet, die Leute griffen zum Mikrofon, die Technik wurde demokratischer, weil günstiger und auch massenmarkttauglich. Daraus hat sich ergeben, dass man es gemacht hat. Wobei, lustigerweise hat man uns auch immer diesen netten Dilettantismus, der dahinter gestanden ist, vorgeworfen. Ich hab das immer unheimlich amüsant gefunden, weil bei uns haben natürlich die besten Musiker Österreichs mitgespielt. Gegenüber diesen so genannten etablierten Stars von damals waren wir halt junge Hunde, die denen ein bissl was vom Geschäft weggenommen haben. Der Ambros z.B. hat gehasst, was wir gemacht haben.

Mittlerweile hat man wohl erkannt, dass diese Ära, die z.B. in Wien statt-gefunden hat, eine sehr spannende war. Hat sich das wirklich so legendär angefühlt, oder ist heute viel Verklärung dabei?

In der Zeit selber merkte man nur, da tut sich was. Wir waren eigentlich alle nur froh, dass nach dieser grauen Zeit, wo sich nichts getan hat, so viel Bewegung war. Insofern war Adrenalin in uns drinnen. Andere behaupten, Drogen, aber das kann ich nicht bestätigen. In dieser Zeit sind einfach Dinge entstanden, die irrsinnig viel Spaß gemacht haben. Natürlich ist da viel Verklärung dabei.

Aber es funktioniert, weil diese Songs noch wirkliche Songs waren – im Sinne von Aufbau: Strophe, Refrain, Bridge, man kann es mitsingen. Die großen Songs von damals hatten etwas Kinderliedhaftes. Ich war und bin der Meinung, dass Kinder unheimliche Werte in sich bergen, also kann das nicht schlecht sein, wenn etwas mit Kinderliedern assoziiert wird. Das heißt nicht, dass es das einzige ist, was es geben muss, aber es kann nicht so schlecht sein. Genau deswegen haben diese Songs so einen Aha-Effekt. Man erinnert man sich einfach gerne daran. Außerdem sind sehr viele Menschen mit dieser Musik aufgewachsen und haben das noch im Hinterkopf. Die erinnern sich einfach an Zeiten, die schön waren. Das ist aber mit jeder Retro-Geschichte so. Ich glaube, das liegt an den Melodien. Ich mag diese Melodien, die so konstruiert sind wie damals. Das kommt immer wieder, das hatte eine irrsinnige Energie. Damals haben wir nicht gewusst, dass da jetzt etwas ist, was lange überlebt. Man muss denken: Das ist 28 Jahre her. Wenn man uns damals gesagt hätte, ihr werdet Lieder haben, die zeitlos sind wie „Einer hat immer das Bummerl“, hätten wir die Köpfe geschüttelt.

Habt ihr eigentlich mit englischen Texten begonnen?

Am Anfang haben wir überhaupt keine Sprache gehabt. Wir haben einfach so gesungen, wie es gekommen ist – Englisch, Deutsch, alles durcheinander, und wir haben das auch nicht aufgeschrieben. Einer unserer größten Hits war „Du kleiner Spion“. Den haben wir das erste Mal live gespielt bei einer Ö3-Live-Übertragung aus dem U4, aber ohne Text. Ich hab immer so Kauderwelsch-Texte fabriziert. Das war einer der Gründe, warum wir auch relativ gut gestartet sind: Wir haben uns ja als Gegenbewegung zu der sehr textintensiven Liedermacher-Welt gesehen. Die Liedermacher haben inhaltlich durchaus Dinge vertreten, denen ich mich verwandt fühle, aber formal hat uns das überhaupt nicht getaugt. Wir haben ja schon allein mit unserem Namen Mini-Sex provoziert, und mit dem, was wir formal als unsere Vorbilder bezeichnet haben. Das war Bubblegum Music aus Amerika, das waren teilweise so Klassiker wie die Kinks, das waren Schlager aus Deutschland – zum Beispiel Christian Anders und Marianne Rosenberg. Ich singe heute noch „Marmorstein und Eisen bricht“ im regulären Programm und finde das gut. Wir haben so einen provokanten Trash-Zugang gehabt, der allerdings nicht unbedingt heißen muss, dass man ein Trottel ist. Das hab ich in Österreich bis heute nicht verstanden. Viele Hochkultur -Journalisten, vor allem aus meiner Generation, hatten immer eine gewisse Distanz zu uns –- erstens, weil wir sehr viel im Radio gespielt wurden, womit man automatisch das Image bekommt, dass man nicht ganz seriös sein kann, wenn man so oft im Radio läuft, und dann waren die der Meinung, dass unsere Texte einfach völlig daneben und blöd sind.

Nachdem ich mit dem Wort mein Geld verdiene: Ich weiß schon, wie man was schreibt. Wir wollten damals absichtlich wenige Worte für ganz kleine naive Filme im Kopf verwenden, im Gegensatz zu den Liedermachern, die ganze A4-Seiten vollgeschrieben haben. Das war ein ganz anderer Zugang. Wir haben eben nicht über Atomkraftwerke gesungen, sondern über Dinge, die man danach erst mit Namen benannt hat, zum Beispiel „Rudi, gib acht!“ ist glaube ich der erste Stalker-Song weltweit. „Du kleiner Spion“ war so eine ironische Agenten-Parodie. Damit waren wir in Berlin Nummer 1, und in Hamburg haben sie es im lokalen Radio verboten. Damals gab es ja noch Ost- und Westdeutschland, und das war alles sehr kompliziert. Da gab es noch eigenartige Einschränkungen, die es heute ja nicht mehr gibt. Heute kann man alles machen, gleichzeitig ist es aber auch so, dass man heute sehr viel mehr Feuerwerk zünden muss, damit man überhaupt auffällt. Es war früher leichter, bemerkt zu werden – was natürlich ein großer Vorteil war.

Um 1982 sind ja ein paar Dinge kumuliert. Da war „Du kleiner Spion“, der erste Hit, dann habt ihr „Keine Angst“ rausgebracht, das U4 war am Über-kochen. Was war das für ein Umfeld, dass das so explodieren konnte?

Die ganze Musikszene hat es vorher nicht gegeben. Wir haben uns organisiert, wie das so schön heißt, wir haben ein Label gemacht: Schallter. Dann gab es ja kaum Auftrittsmöglichkeiten. Wenn dann auf einmal ein Feuer zu glimmen anfängt, dann spürt jeder die Wärme, die damit zu tun hat. Insofern war schon so etwas wie ein Druckkochtopf da, weil auf einmal jeder, der mit diesem Ding zu tun hatte, etwas gespürt hat. Natürlich kann man es in der Rückschau einordnen, wir damals gar nicht. Eine der wichtigsten Sachen, die noch vor dem U4 war, war der „Wiener Blutrausch“. Das war diese erste selbst produzierte Sampler-Platte, mit Drahdiwaberl, Minisex, Chuz¬pe, Mordbuben AG und Metzlutzkas Erben. Die nächste, die wir produziert haben, war „Wien Musikk“, das war eine Falter-Platte. Da haben wir die Novaks Kapelle dazu genommen, weil ich immer dachte, man kann keine Geschichte haben, wenn man nicht auch einen Teil der Legende dazu hat. Novaks Kapelle war für mich immer Teil dieser legendären Wiener Musikszene der Sechziger Jahre : The Slaves, die Charles Ryders Corporation von Karl Ratzer, da gab es tolle Dinge. Dann ist es abgerissen, da sind alle guten Leute nach Deutschland ausgewandert, und Wien war wieder ganz tot. Erst Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger Jahre kam wieder der Push, als mit New Wave und der Neuen Deutschen Welle einfach alles explodiert ist.

Ihr seid viel auf Ö3 gespielt worden, aber eigentlich gab es dort als pro-gressive Sendung nur die „Musicbox“. Es stellt sich die Frage, warum das früher auf Ö3 funktioniert hat und heute nicht mehr. Ist Ö3 daran schuld? Was habt ihr richtiger oder anders gemacht als heutige Bands?

Wenn du Mangel hast, und dann kommen ein paar Salamis, dann wird die Salami auf einmal irgendwie strahlend erscheinen. Wenn du allerdings in einem Feinkostladen aufwächst, ist eine Salami nicht so großartig. Es gab damals kein Formatradio, sondern das Radio hatte Sendeflächen, die von oben bis unten, links bis rechts und progressiv bis super-bieder stattgefunden haben – und das Ganze in einem Radiosender. Wenn jemand Ö3 hörte, kam er zwangsläufig mit unterschiedlichen Dingen in Berührung. Heute ist das nicht mehr so. Wenn du heute Ö3 hörst, hast du einen sehr eingeschränkten Musikzugang. Du musst dich entscheiden, welches Radioformat du wählst, dann wirst du genau diesen Musikstil finden. Damals war das gemischt, was viel mehr Menschen auf dich aufmerksam gemacht hat. Und es gab kein Privatradio. Das heißt, wenn man einmal auf Ö3 stark war, dann war man in Österreich bekannt. Das ist heute nicht mehr so leicht möglich. Heute musst du sehr viel mehr Medienkanäle bedienen, um den gleichen Effekt zu erreichen. Außerdem waren die Leute einfach interessierter. Die haben, weil es davor so wenig gab, eigentlich auf Leute wie uns gewartet. Wir haben in Vorarlberg vor 2.500 Menschen gespielt, das kann man sich heute ja nicht mehr vorstellen.

Was gab es denn in Wien für Auftrittsmöglichkeiten?

Das U4, und das Metropol haben wir in den späten Siebziger Jahren immer von einem betrunkenen, zwielichtigen Gastwirt gemietet. Das haben wir New Wave-Fest genannt, und es war immer total voll, da mussten wir Leute wegschicken. Dann gab es einen Riesenskandal, als bei einem der Konzerte das Lokal nicht aufgesperrt wurde, weil es am Tag vorher an die ÖVP verkauft worden war. Wir haben dann eine Initiative gegründet, die sich „Wiener Szene“ genannt hat – nicht besonders kreativ. Wir haben Konzerte veranstaltet in den Sofiensälen, in Theatern und so weiter. Daraus ist der Wunsch nach einem fixen Auftrittsort entstanden. Das hat dann Bürgermeister Zilk ermöglicht – die Szene Wien.

Um die New-Wave-Ära ranken sich auch viele exzessive Mythen, und es gab ja auch einige Tote. Warum blieb Minisex verschont?

Die Mythen sind teilweise übertrieben. So viele Drogen, wie da angeblich konsumiert wurden, kann es gar nicht gegeben haben. Das wäre nicht Wien gewesen, sondern Medellin. Es gab ein Heroin-Problem, das leider viele Kollegen eingeholt hat, dann gab es Kokain, das eine Spur weniger gefährlich ist, aber die Menschen zu übersteigerten Verwirrtheiten bringen kann, und die Realität ist etwas verschleiert. Das ist dann ein großes Phänomen geworden. Mittlerweile ist Kokain für mich eine der übelsten Drogen, weil die dümmsten Menschen Österreichs Kokain nehmen. Die Klügeren haben sich davon schon lange verabschiedet. Es ist erschütternd, welche Verbrecher und Rechtsradikalen Kokain konsumieren. Wenn man im Wiener Landtag und im Parlament, vor allem in gewissen rechten Regierungsbänken, Kokain-Tests machen würde, müsste man einen großen grünen Wagen kommen lassen, damit die alle reinpassen.

Warum wir verschont blieben? Ich bin sehr jung Vater geworden und habe immer eine gewisse Anbindung an die Wirklichkeit gehabt. Ich habe das nicht ganz verloren, obwohl ich auch schon manchmal relativ problematisch auf dem Seil ging. Aber ich habe immer versucht, diese Erdung nie zu verlieren.

Es ist vermutlich auch ein Mythos, dass es da eine große Bewegung und einen großen Zusammenhalt gab ….

Künstler, egal ob Maler, Schauspieler, Literaten oder Musiker, können sehr gut im Smalltalk eine große Bewegung darstellen, aber in der Wirklichkeit ist es so, dass jeder einen gewissen Narzissmus entwickeln muss, weil man sein Ding hat, das man positionieren und darstellen muss. Würde man sich den Brandauer ohne Narzissmus vorstellen, wäre es nicht der Brandauer. Das muss man ehrlich sagen. Auch wenn ich den Arnulf Rainer hernehme – das geht ohne Narzissmus gar nicht.

Gab es Leute, die du geschätzt hast?

Ja! Ich habe den Hansi Lang geliebt, für mich nach wie vor die beste Stimme des Landes. Leider nur mehr auf Tonträgern. Ich hab auch den Hansi Hölzel absolut geschätzt, weil der ganz tolle Sachen gemacht hat. Vor allem hat der Hans das geschafft, was niemand sonst gemacht hat: die perfekte Positionierung. Wir alle haben doch ein bisschen immer diesen demokratischen Hintergrund gehabt, dass wir gesagt haben: Ja, wir sind ein Teil von euch. Der Hölzel hat gesagt: Ich bin definitiv keiner von euch. Damit hat er sich super positioniert. Das hat man dann formal von den Socken bis zum Haargel auch wieder gefunden, was schon ganz clever war.

Wie stand es mit Peter Weibel und dem Hotel Morphila Orchester?

Wow, ja, „Sex in der Stadt“! Den haben wir auf der Akademie kennen gelernt. Das war damals ein Phänomen, dass sich die unterschiedlichen Genres begegnet sind. Ich glaube, heute gibt es das nicht mehr so. Damals gab es ja auch weniger Stile. Mein Sohn ist 30 und Musiker, aber nicht einmal der kann mir alle Stile aufzählen, die es momentan parallel gibt. Damals gab es nur eine Handvoll Stile. Dadurch ist man sich sehr viel mehr begegnet. Eberhard Forcher, mit dem ich das Label betrieb, und ich haben uns ja immer für Kunst interessiert. Wir haben dann auch die Molto Brutto mit Gunter Damisch und so produziert, eine völlige Malerei-Partie. Für uns war das alles okay, das hat man nicht abgrenzen müssen. Am schönsten wäre es gewesen, wenn das ein riesiges Kunstprojekt geworden wäre. Das haben wir uns nie so genau überlegt, aber das wäre toll gewesen. Wir haben uns gedacht, dass es großartig ist, wenn man so unterschiedliche Fraktionen vorstellen kann.

Was mich immer amüsiert hat, ist, dass es in den Neun-ziger Jahren, als Kruder&Dorfmeister und so aufkamen, auf einmal hieß, es habe davor nie etwas gegeben. Das finde ich unglaublich dumm: Wenn ich meine eigene Geschichte nicht kenne, ist das ein bisschen problematisch. Man muss nicht gleich mit Bruno Kreisky kommen, aber dass es schon in den Sechzigern und Achtzigern etwas gab, das haben die Kollegen vom „profil“ bis heute noch nicht so wirklich mitbekommen. Das ist traurig, weil ich finde, dass man etwas schon über längere Zeit beobachten muss und nicht nur seinen eigenen musikalischen Geschmack dabei featuren darf.

Viele, die in den Achtzigern gut im Geschäft oder Teil dieser Bewegung waren, sind in veritable Lebenskrisen gestürzt. War das bei dir auch so, oder bist du da verschont geblieben?

Ich kann mich erinnern, ich bin aus der Musikszene ausgestiegen, da hatten wir am Schluss ein Projekt in Berlin mit dem Hansi Behrendt, dem Schlagzeuger von Ideal, das war meine Lieblingsgruppe in Deutschland, die ich nach wie vor für großartig halte. Wir haben im Hansa-at-the¬Wall-Studio, und zwar in dem Raum, in dem David Bowie „Heroes“ gesungen hat, mit einer New Yorker Sängerin ein Lied aufgenommen. Das war sensationell! Da dachte ich, das hat nichts mehr mit Minisex zu tun, das könnte jetzt das Richtige sein und wir könnten uns ökonomisch für die nächsten Jahre positionieren. Das war „Venus“ von Shocking Blue. Wir haben das produziert, und es ist uns sofort abgekauft worden. Dann ist es aber nie erschienen. Wir sind draufgekommen, dass die Plattenfirma, die das gekauft hat, auch Bananarama im Portfolio hatte, aber leider haben Bananarama kurz nach uns „Venus“ in England aufgenommen und einen Welthit damit. Unsere „Venus“ ist dann nur als Maxi erschienen. Wenn wir das rausgebracht hätten, hätten wir vielleicht nicht einen Welthit gehabt, aber schon einen großen, in hundert Ländern. Ich muss zugeben, da habe ich geweint, als ich gemerkt habe, dass es aus taktischen Gründen schiefgegangen ist. Daraufhin bin ich in die Werbung gegangen.

Du hast aber dann noch ein Soloalbum gemacht …

Ja, Mitte der Neunziger Jahre habe ich die Platte „Rudi singt wieder“ aufgenommen. Das ist die beste, die ich je gemacht habe. Nur ist die leider bei einem Label erschienen, das vergessen hat, dass man eine CD auch in den Handel stellen muss, sonst kann es ja keiner kaufen. Das hat es nur ein Monat lang in ganz wenigen Geschäften zu kaufen gegeben. Da sind viele tolle Sachen drauf. Eine der letzten Nummern hat „Kumm‘ auf mei Couch“ geheißen – die lief auf Ö3. Zu der Zeit war ich aber schon mitten drinnen in der Werbung, das war nur mehr ein Ausflug – aber ein sehr schöner Ausflug.

Wie ist das, wenn man von einer wirklichen Kreativszene in eine Branche wie die Werbung kommt, wo alle Künstler sein wollen und das kompensieren, indem sie Werbung machen? Fühlt man sich da nicht manchmal ein bisschen einsam?

Ich war sehr zurückhaltend. Ich habe als Junior-Texter begonnen, ich wollte das wirklich lernen, und habe bemerkt, dass da ein eigenartiges Berufsethos herrscht. Manche sehen Werbung als Kunst, was ich überhaupt nicht akzeptieren kann. Werbung hat immer ein klares Ziel und einen Auftraggeber. Kunst sollte im Idealfall keinen Auftraggeber haben. Das ist das Großartige an Kunst: dass man sie auch machen kann, ohne dass jemand sagt, ich hätte folgendes Ziel und folgendes Projekt, sondern, dass man es einfach macht. USP und Zielgruppe braucht man nicht in der Kunst, wobei es mittlerweile Künstler gibt, die das ähnlich wie die Werbung praktizieren. Ich glaube, Werbung kann großartig gesellschaftliche Ereignisse wiederspiegeln, kann vielleicht sogar einen Schritt voraus sein, aber sie hat nichts mit Kunst zu tun – das halte ich für eine Fehleinschätzung. Mit Ideen hat gute Werbung immer zu tun, und das ist großartig, aber Kunst ist ganz etwas anderes. Kunst kann theoretisch ohne Publikum existieren, Werbung überhaupt nicht.

Wie geht man mit Leuten um, die einem genau das weismachen wollen?

Ich hab einen großen Zynismus entwickelt, was Marke¬ting und Werbung betrifft. Das Perverse ist, dass ich selbst Vorlesungen zu dem Thema halte –- an der Publizistik und am WIFI. Ich lebe meine Ambivalenz. Ich halte Werbung noch immer für eine der letzten Branchen, wo man auch ohne fertige Berufsausbildung viel werden kann. Das muss ich zugeben. Wenn man einen großen Willen hat und für Ideen offen ist und sie gut generieren kann, ist Werbung eine der letzten Enklaven, wo man etwas tun kann.

Anfang der Nuller Jahre gab es ein großes Achtziger-Revival. Für Hansi Lang war dieses Reduziertwerden auf ein Retro-Erlebnis ganz schlimm. Hast du das mit einer gößeren Leichtigkeit nehmen können? Natürlich war es für mich leichter, denn ich hatte meine Hauptbeschäftigung in der Werbung. Ich habe das im¬mer als Ausflug betrachtet. Der Hansi stand natürlich als Vollblutmusiker, der auch permanent Neues schuf, unter einem ganz anderen Druck. Für mich war es ein Ausfl ug, für Hansi war es quasi eine Episode, wo er nur auf seine Vergangenheit reduziert wurde. Das Neue, das er geschrieben und gespielt hat, wurde dabei nicht ein-gebunden. Das war natürlich schwieriger, keine Frage. Wir haben einige wirklich tolle Auftritte gemeinsam gehabt, und es hat ihm schon Spaß gemacht, aber eigentlich hat der Hansi an seiner Zukunft gearbeitet. Wenn du musikalisch an deiner Zukunft arbeitest, ist es anders, als wenn man das wie ich nur als Ausflug nimmt. Aber er hat das teilweise auch genossen. Er hat seine großen Hits gesungen – das sind einfach Songs, die zu Wien gehören, großartige Wienerlieder, finde ich.

Minisex hatte doch mehrere große Hits. Wie kann man sich das in finanzieller Hinsicht vorstellen?

Große Hits hieß: im deutschsprachigen Raum. Große Hits sind so, dass du sehr viele Auftritte spielen kannst, weil du irrsinnig viel Resonanz im Publikum hast. Du verdienst also viel Geld mit Liveauftritten, du verdienst gutes Geld über die Radio- und Fernsehperformance – damals gab es noch gute Minutenpreise von der Urheberrechtsgesellschaft – und du verkaufst natürlich auch Schallplatten, wobei das Schallplattenverkaufen bei uns jetzt nicht so riesengroß war. Unsere eigenen Sachen sind in die 10.000 Stück gegangen. Wir haben keine Welthits gehabt, die drei Millionen Alben verkauft hätten. Wenn du davon langfristig leben willst, wie etwa Falco, brauchst du einen Welthit. Da genügt es nicht, dass du „Du kleiner Spion“ vier Millionen Mal auf einem Sampler drauf hast. Du musst dein Album vier Millionen mal verkaufen, dann kannst du vielleicht davon ein Leben lang zehren. Das ist eben der Unterschied. Da muss man in die Werbung gehen.

Wir sind weggegangen. Das ist das, was auch die Menschen, die uns Kommerzheinis nannten, immer wieder mit Respekt bemerken: Wir sind gegangen, nicht gegangen worden. Das ist mir schon wichtig gewesen. „Rudi, gib acht!“ und „Millionen zählen nicht“ laufen immer noch über 300 Mal pro Jahr im Radio – und das nach 26 Jahren, das ist schon viel. Das ist schon ein Liebesbeweis. Dann gibt es noch „Eismeer“ und „Du kleiner Spion“ und „Ich fahre mit dem Auto“. Das sind Evergreens. Wenn mir jemand 1980 gesagt hätte, du wirst einmal einen Evergreen schreiben, hätte ich ihn gefragt, ob er deppert ist.

Minisex: Maximum Minisex MONCD071 (Doppel-CD)

Monkey Music; Vertrieb Hoanzl € 15,99

 

| FAQ 09 | | Text: Andreas Ungerböck, Fabian Burstein | Fotos: Magdalena Blaszczuk
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