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Das Gestern von Morgen im Heute

Text: Christoph Benkeser | Fotos: Thomas Schrenk

Sie hat viele Talente. Und mit „Notre Dame“ eines der  österreichischen Musik-Highlights des Jahres veröffentlicht. Die Theaterregisseurin und Liedermacherin Anna Mabo erzählt, warum sie ihre Kindheit bei den Pfadfindern nachhaltig geprägt hat, wieso sie ihre Handynummer in einem Song ausplaudert und welche Philosophie sie von Michael Häupl übernommen hat. Ein Porträt.

Anna Mabo hat schlechte Neuigkeiten. Ihr Ikea-Fahrrad sei weg. Ein Erbstück von der Oma. Gefladert, gestohlen. Dabei hätte es die Wiener Sängerin ahnen müssen. Sie plaudert aus, was niemand wissen sollte: den Code ihres Fahrradschlosses, auf einem Lied ihres Albums. „Das war aber eine absichtliche Irreführung“, sagt Mabo im Gespräch und lacht. „Der Code, den ich sage, ist der Geburtstag meiner Mutter!“ Dass das Fahrrad trotzdem weg ist, hat andere Gründe. „Das schreibst aber nicht, sonst hab ich einen Stress mit meinen Eltern.“ Außerdem gebe es sowieso erfreulichere Dinge zu besprechen. Vor Kurzem erschien das zweite Album von Anna Mabo. „Notre Dame“ winkt gen Paris und tarnt sich als Abend beim Heurigen, der sich dem Instagram-Blickwinkel verstellt. Ohne Kopfweh am nächsten Tag. Dafür mit einer Handvoll Geschichten, die bleiben. Weil sie in ihrer Flüchtigkeit genau das freimachen, was oft vergessen wird – ein Bewusstsein für den Moment, das Jetzt, die Gegenwart.

Entdeckt hat Mabo vor einigen Jahren Ernst Molden. Man muss dem Austro-Dylan vor lauter Dankbarkeit die Füße küssen, ihr „Handerl für Klarheit, Melodien und Reime“, wie Molden selbst sagt, erkannt und gefördert zu haben. Man darf aber ebenso annehmen, dass Anna Mabo es auch ohne sein Zutun geschafft hätte, die eigene Leichtigkeit auf zwei Vinyl-Seiten zu pressen. Schließlich besitzt sie etwas, das vielen fehlt: genügend Selbstreflexion, um über sich lachen zu können und die Gabe, diesen Schmäh zu konservieren, ihn aufzufangen und in Versform auf Papier zu bringen. Deswegen muss man „die Mabo“, wie sie von manchen genannt wird, nicht zur Hoffnungsträgerin der österreichischen Musikszene hochjazzen, sollte aber zumindest erwähnen, dass ihre Lieder zum Besten gehört, was zwischen Bodensee und Oberwart zuletzt aus sechs Gitarrensaiten geklampft wurde.

Aber von vorn: Anna Mabo, die eigentlich Marboe heißt, arbeitet als Theaterregisseurin, schreibt Lieder und ist 24 Jahre jung. Als Kind habe sie sich immer gewünscht, ein Bub zu sein – „aber nur, weil ich anders sein wollte.“ Ihre Eltern haben sie früh zu den Pfadfindern geschickt. „Die Buben durften im Wald herumspielen, die Mädchen einen Obstsalat schneiden und über ihre Gefühle sprechen.“ Ein Ungleichgewicht, das sie nicht einfach hinnehmen will. In der Volksschule liest sie Bücher von Bronti, dem Brontosaurus. „Das war super, weil in Kinderbüchern für Mädchen immer nur Pferde vorkamen“, sagt Anna. „Aber Pferde hab ich nie verstanden.“ Später entdeckt sie die Bücher von Christine Nöstlinger. Die Geschichten vom Franz oder Gretchen Sackmeier – ein Buch, in dem es um den Umgang als Frau, und nicht um die Voraussetzung geht, die das ganze Leben als Frau beeinflusst. „Als ich schließlich akzeptiert habe, dass ich zu einer Frau gemacht werde, hab ich begonnen, mich anders zu verkleiden. Nicht mehr als Bub, sondern als Freak“, so die Künstlerin.

Ihre Eltern, sonst „ziemlich konservativ“, haben diese Einstellung immer unterstützt. Die Mama, eine anerkannte Jus-Professorin sowie ihr Papa, einst Wiener Kulturstadtrat und „Liberaler mit katholisch-bürgerlichem Hintergrund“, wie der Journalist Hans Rauscher anerkennend schrieb, haben viel durchgehen lassen. „Im Gender-Bezug waren sie wirklich hippiesk“, sagt Anna und zieht ihre pinken Socken hoch. Es fällt auf, wenn sie betont, dass sie „erfolgreich in Wien aufgewachsen“ sei – ein Satz, den sie sich zurechtgelegt hat, der im Kontext ihrer Erzählung aber weder übertrieben aufgesetzt noch gewollt untertrieben ist. Mit 17 macht sie Matura am Schottengymnasium. Statt die Reifeprüfung beim Summersplash mit Billigfusel runterzuspülen, fährt sie nach Chile, bereist Tansania, verbringt ein Jahr in den USA. „Im Silicon Valley bei Palo Alto. Meine Mutter unterrichtete dort an der Uni. Also kam ich mit. Und baute mein Arnold-Schwarzenegger-Englisch aus.“

Zurück in Wien schafft sie die Aufnahmeprüfung am Max Reinhardt Seminar. Studienfach Regie, Abschluss 2019. Inzwischen hat sie am Kosmos Theater in Bregenz, im Volkstheater in den Bezirken oder zuletzt im Wiener Schauspielhaus inszeniert. Dass sie die Fäden auf der Theaterbühne kontrolliert und nicht selbst auf ihr steht, ist trotzdem eine Überraschung: „Ich bin laut und muss auf die Bühne“, ergab ein Persönlichkeitstest, den ihre Mutter kürzlich für sie ausgefüllt hat – obwohl sie sich selbst eher am anderen Ende des Spektrums sehe. Introvertiert, nicht ins Rampenlicht drängend, das Gegenteil von laut. „Aber solche Tests sagen gar nichts über einen selbst aus, sondern wie andere Leute einen sehen“, sagt Mabo und lächelt, weil sie weiß, dass sie Recht hat …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 61

 

FAQ verlost drei Exemplare von Anna Mabos neuem Album „Notre Dame“ Senden Sie bis 31. August 2021 eine E-Mail mit dem Betreff „Notre Dame“ an gewinnspiel@faq-magazine.com

Anna Mabo: Notre Dame (bader molden recordings)

 

| FAQ 61 | | Text: Christoph Benkeser | Fotos: Thomas Schrenk
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