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Himmlische Lust

Das Jüdische Museum in Wien widmet sich der Sexualität. Bis 13. November 2022 lässt sich der Sinnlichkeit zwischen Körper und Kunst in der Dorotheergasse nachspüren.

Pablo Picasso „Batsheba im Bad“ 1966 © Isabelle Racamier

Als „göttliches Geschenk“ betrachte das Judentum die Sexualität. Schließlich sei sie „heilige Verpflichtung“ – nicht nur aus Gründen der Fortpflanzung, sondern auch des Vergnügens willen. Im Vergleich zur christlichen Tugend der Keuschheit und der konservativen Auslegung des Islams mutet manch jüdischer Zugang zu Lust und Leidenschaft damit wie eine Sex-Positive-Party im Nonnenkloster an. Bis 13. November lässt sich davon im Jüdischen Museum in Wien überzeugen. Die Ausstellung „Love Me Kosher“ schlängelt sich aus dem Paradies der Schöpfung hin zur Auslegung von Liebe in der hebräischen Bibel und aktuellen Debatten im modernen Judentum – geliebt wird heute zusehends offen, manchmal queer und immer öfter unorthodox.
„Kommt zu ‚queer‘ und ‚jüdisch‘ noch das Wort ‚Wien‘ hinzu“, so Daniela Pscheiden, herrsche jedoch meist Ratlosigkeit. Die Wiener Kunsthistorikerin und Kuratorin am Jüdischen Museum spielt damit vor allem auf die frühe Blütezeit der Sexualwissenschaft vor 1900 an. Wien stand damals nicht nur wegen Sigmund Freud im Mittelpunkt der Beschäftigung zu Themen der Sexualtheorie. Die Bundeshauptstadt sollte auch in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Homosexualität in „gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht eine wichtige Rolle“ einnehmen.

Andy Warhol „Ten Portraits of Jews of The Twentieth Century – Sigmund Freud“ 1980.
JMW © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts. Inc./VBK, Wien

Heute ist Sexualität im Judentum allerdings – so wie in allen anderen Glaubensrichtungen – mit vielen religiösen Regeln verbunden. Meist sind es heteronormative Vorstellungen, die sich mit weltoffenen Auslegungen der LGBTQ-Community schneiden. Dass die Deutung religiöser Grundsätze einer ständigen Aushandlung unterliegen, zeigt die Ausstellung in der Dorotheergasse deshalb anhand von Interviews. In Wien tätige Rabbiner sprechen über unterschiedliche Themen wie Sexualität und Liebe im Judentum und zeigen auf, wie sich ihre Auslebung verändert.
Außerdem werfe man in der Ausstellung einen Fokus auf die Verbindung zwischen körperlicher und künstlerischer Sinnlichkeit. Der paradiesische Garten „Anima“, den André Heller in Marrakesch anlegen ließ, übersiedelt dafür erstmals in ein Museum. Hellers „magischer Ort der Sinnlichkeit“ soll den Beginn „unserer Entdeckungsreise zu Liebe und Sexualität“ markieren. Das Kuratorinnen-Team um Daniela Spera konnte zusätzlich Expo-nate aus Albertina und Belvedere gewinnen. Man wolle den „offenen Umgang“ des Sexuellen im Künstlerischen zeigen – in Bildern von Brauer bis Hundertwasser, Chagall bis Picasso.
Weniger um das sinnliche Erleben als vielmehr um den Sinn zum Erlebten geht es in der Auseinandersetzung zu Sex und der Shoa. Das jüdische Museum beleuchtet nicht nur die – infolge von Deportation und Ermordung durch Nationalsozialisten – Auslöschung jüdischer Sexualwissenschaftler. „Love Me Kosher“ lenkt den Blick auch auf Beispiele von Liebe in Konzentrationslagern sowie Sexualität als Überlebensstrategie. Die „heilige Verpflichtung“ steht nicht zuletzt unter einem „Schimmer der Hoffnung“. Zu sehen ist „Love Me Kosher“ bis 13. November 2022 im Jüdischen Museum.

 

Love me Kosher
Jüdisches Museum Wien

Dorotheergasse 11, 1010 Wien
www.jmw.at

 

 

| | Text: Christoph Benkeser
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