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Im Dialog mit Geistern

Von 7. Juli bis 7. August kehrt ImPulsTanz zurück auf die Bühnen und in die Museen Wiens und verwandelt die Hauptstadt fünf Wochen lang in den Hotspot der zeitgenössischen Tanzwelt. Ein Interview mit der jungen Choreografin Boglárka Börcsök.

© Magdalena Blaszczuk

Auf dem Programm von ImPulsTanz stehen heuer 54 Produktionen in 20 Spielstätten, darunter 15 hochkarätige nationale und internationale Uraufführungen und 23 österreichische Erstaufführungen. Unter den zahlreichen Highlights finden sich Trajal Harrells The Köln Concert – zu Keith Jarretts legendären Jazzklängen –, Anne Teresa De Keersmaekers Mystery Sonatas zur Musik von Heinrich Ignatz Franz Biber, Dada Masilos THE SACRIFICE, welches zu einem tänzerischen Ritual mit den Vorfahren lockt, oder auch Florentina Holzingers TANZ, das mit einer wilden Mischung aus Akrobatik und Brutalität im Volkstheater Einzug hält. Ivo Dimchev feiert mit In Hell with Jesus nicht nur das Wunder der unchristlichen Auferstehung, sondern auch Weltpremiere. Ebenso auch Akemi Takeya mit Schrei X8 oder Liquid Loft mit ihren zeitgenössischen Mutationen in fantastischen Kostümen.

2022 hat ImPulsTanz im Rahmen der [8:tension] Young Choreographer’s Series zehn Kunstschaffende zu einer Residenz von vierzehn Tagen eingeladen. Den Künstlerinnen und Künstlern soll dazu verholfen werden, sich ihrem Potenzial und ihrer Arbeit während eines längeren Zeitraums zu widmen. Das Festival soll dabei als Inspirationsquelle dienen, sowie Zusammenhänge und geteilte Bewegungen schaffen. Für Christine Standfest, künstlerische Leiterin von [8:tension], liegt die Schönheit des Programms darin, dass young artists, auf ein breites, gemischtes Publikum treffen. Was einerseits eine Herausforderung sein und dazu zwingen kann, die eigene Komfortzone zu verlassen, bietet auf der anderen Seite die Möglichkeit, neue und andersartige Räume zu erkunden.

Boglárla Börcsök © Magdalena Blaszczuk

Boglárka Börcsök, eine der Choreografinnen der diesjährigen [8:tension] Series, nutzt mit Ihrem aktuellen Projekt Figuring Age diese Chance – und performt am 24. & 26. Juli dreimal täglich im mumok. Im Gespräch mit Christine Standfest gibt Boglárka Börcsök Einblicke in ihre Arbeit.

Christine Standfest: Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, ich glaube, 2017, mit Eszter Salamon bei der Reihe MONUMENT, dieser wirklich fantastischen Arbeit über Valeska Gert, habt ihr beide über den gigantischen White Cube hinaus das mumok durchquert. Für mich als Kuratorin bleibt es eine meiner liebsten Kollaborationen zwischen Künstlerinnen und Künstlern, dem Museum und ImPulsTanz.

Boglárka Börcsök: Ja, Figuring Age hat eigentlich in einem ähnlichen Rahmen begonnen und Form angenommen, gleich nach dem Schnittprozess des Filmes, in einem Museum. Ich war damals im MACBA in Barcelona. Jetzt an einen solchen Ort zurückzukommen ist aufregend, wie eine Kurve.

Du hast eben den Film erwähnt. Vielleicht fangen wir damit an, oder mit deinem ursprünglichen Interesse.

Eigentlich hat das Projekt schon 2014 angefangen, mit einer Rechercheresidenz bei der Workshop Foundation in Ungarn. Damals hatte ich schon als Freelance Dancer mit Tino Sehgal und anderen gearbeitet, hauptsächlich in Museen, und in Paris bin ich über eine Ausstellung gestolpert, die sich mit Tanzgeschichte befasste. Mir fiel auf, dass osteuropäische Referenzen beinahe keine Rolle spielten, geschweige denn ungarische. Ich dachte also darüber nach, dass ich eine junge Tänzerin war und vielleicht Choreografin werden könnte, und ich fragte mich: ‚Was ist hier meine Position?‘ Diese Rechercheresidenz war also eigentlich der Startpunkt. Das Programm hieß „Recherche ins Ungewisse“, und ich wollte dieses Konzept ernst nehmen, dieses Ungewisse, denn ich kämpfte bereits mit meiner Wissenslücke in Sachen ungarischer Geschichte und vor allem ungarischer Tanzgeschichte. Darauf folgte eine Reihe von Begegnungen mit älteren Tänzerinnen, die Teil der frühen Entwicklung des modernen Tanzes waren, und diese Kennenlernen führten wiederum zur Produktion eines Dokumentarfilms; all diese Dinge sind die Basis für diese Performance.

Wie sind noch gleich die Namen der Tänzerinnen, die auch im Videoteil der Performance zu sehen sind?

Sie heißen Irén Preisich, Éva E. Kovács und Ágnes Roboz und waren alle zwischen 90 und 101 Jahren alt. Ihre Namen sind völlig in Vergessenheit geraten. Für mich war es besonders interessant, parallel an dem Projekt zu Valeska Gert zu arbeiten. Die Dialektik zwischen diesen Künstlerinnen ist sehr stark, Valeska Gert war Gegnerin vieler der abstrahierenden Bewegungen der damaligen Zeit. Eine spannende Verbindung also, erst Valeska Gert zu verkörpern und dann nach und nach diese anderen Frauen zu studieren.

Boglárka Börcsök, Figuring Age. Fotos: Andreas Bolm

Was mich an den Begegnungen mit den Tänzerinnen beeindruckt hat war, dass sie eigentlich eine Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts erzählen, nicht? Eine von ihnen, kann ich mich erinnern, sagte, dass sie wiederholt an ihrer Arbeit gehindert wurden: erst durch den Nationalsozialismus, dann während des Sozialismus und selbst danach noch.

Ja, auch diese Frakturen haben mich interessiert. Wenn wir an Bewegung denken, denken wir an Kontinuität, vor allem im modernen Tanz, diese Idee der ständigen Bewegung. Für mich ging es aber um die Brüche, die Momente, in denen alles auseinanderfiel, die Gründe dafür, dass wir ihre Namen nicht mehr kennen. Und wie du schon erwähnt hast: Brüche gab es viele. Natürlich war meine Absicht nie, in die Vergangenheit zu gehen, sondern sie zu nutzen, um die Gegenwart zu reflektieren. Diese Brüche hatten mit ihrem jüdischen Hintergrund zu tun, ihnen war es zu verschiedenen Zeiten nicht erlaubt, die Bühne zu betreten, zu unterrichten, Kurse zu besuchen, zu proben, sie mussten sich verstecken, um zu überleben. Zum Glück war keine von ihnen in einem Konzentrationslager, stattdessen saßen sie in Budapest in Bunkern. Dann, nach einem kurzen Aufblühen nach dem Zweiten Weltkrieg, übernahm das sozialistische Regime und verbot ebenfalls die Praxis von modernem Tanz. Dazu kamen die Einschränkungen durch Partner, Väter, Männer. Vor allem aus einer feministischen oder weiblichen Perspek-tive kommt all dieses Private und Politische zusammen, überschneidet sich. Der Film machte das möglich und ich glaube, die Performance ist eine Fortführung dieser Zusammenhänge …

Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 66
Übersetzung ins Deutsche: Sean Pfeiffer

 

FAQ verlost 1×2 Tickets für BOGLÁRKA BÖRSCÖK: FIGURING AGE
am 24. Juli um 16 Uhr im mumok.

Senden Sie bis 20. Juni eine E-Mail mit dem Betreff „Figuring Age“
an gewinnspiel@faq-magazine.com

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!  

ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival
7. Juli – 7. August 2022
www.impulstanz.com

 

| FAQ 66 | | Text: Christine Standfest
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