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In Bester Gesellschaft

Die Konzerte, Performances, Filme und Lectures des Donaufestivals stehen heuer unter dem Motto „Community of Aliens“. Es gibt Pop-Geschichtsaufarbeitungen mit einer Interpretation eines Albums von Nico durch das Solistenensemble Kaleidoskop & Anika, afrofuturistische Bass-Musik, Noise-Pop von The Jesus And Mary Chain und Tanzkörper-Verknotungen mit Autechre. Das Medienkunst-Duo Silvia Eckermann und Gerald Nestler versetzt das Publikum in ein Alien-Kollektiv.

Anika © Sven Gutjahr

Das Motto des Donaufestivals 2023 war „Beyond Human“, heuer also „Community of Aliens“. Die Überwindung des Menschlichen hin zu etwas Anderem scheint immer mehr zu einer künstlerischen Kompensationsstrategie zu werden, was ja wenig Wunder wäre in Zeiten wie diesen. „Community of Aliens“ erfüllt dabei zwei aktuelle Bedürfnisse, zum einen der allgemeinen Gesellschaft, zum anderen – wenn es sie denn gar noch gibt – der Popkultur.
Soziologinnen und Soziologen sowie Lehrende sprechen von digitaler Überforderung, Tinder und andere digitale Verbandelungsplattformen sind im Abschlaffen begriffen und nachdem der Vinyl-Boom auch die letzten Independent-Produktionszweige gefressen hat, veröffentlichen schon mittelgroße Artists ihre neuen Alben auf Cassette. All das scheinen Indizien dafür zu sein, dass das digitale Lagerfeuer einfach nicht so die Herzen wärmt wie das analoge. Spätestens mit 2024 ist klar, dass die 1980er als Neo-New-Wave (auf Biedermeier) voll im Trend liegen. Das Comeback des Walkman hängt bereits in der Warteschleife. Die „Community“ ist durch die sozialen Medien anrüchig geworden, sie wird, marektingkonform, lieber „Follower“ genannt.

Wenn also das Donaufestival seine Veranstaltungen derart adressiert, tut es das im Bedürfnis, den immer virulenter – und immer unverschämter – werdenden Spaltungstendenzen in gesamtgesellschaftlichen Dimensionen ein kleines, aber umso feineres Community-Building entgegenzusetzen.
Der zweite Begriff, „Aliens“, ist da schon schwieriger zu fassen. Ist es eine Gruppe von Außenseitern, von Ausgestoßenen, die sich hier versammelt? Im Einleitungstext schreibt der künstlerische Leiter Thomas Edlinger: „Nur Fremde verstehen die Welt, heißt es. Wie können die Fremden aussehen, die uns verstehen? Das Donaufestival sucht nach Figuren des Übergangs, die zwischen toxischen Vergangenheiten und ungeahnten Zukünften vermitteln könnten.“
Genau die Vermittlungsarbeit ist es, was Kunst mittlerweile auch zu leisten hat. Damit ist nicht gemeint, jemanden von irgendwo abzuholen, sondern Kunst als dezidiert sozialen Prozess zu gestalten. Die Absicht könnte sein: sich diesen befremdlichen Zeiten und Verhältnissen zu entfremden. Die große Herausforderung besteht darin, sich mit dem Fremden zu konfrontieren, Dialoge in Gang zu bringen und diese Erfahrungen produktiv zu machen.

The Jesus And Mary Chain © Mel Butler

Move your mind and your ass will follow

Das Donaufestival lädt wieder zweimal von Freitag bis Sonntag nach Krems. Die Sonntage mit jeweils drei Konzerten im Klangraum Minoritenkirche und den Film- und Performance-Programmen sind so kuratiert, dass sie im kleineren, dafür konzentrierten Rahmen stattfinden. Am ersten Sonntag, dem 21. April, präsentieren das auf zeitgenössisches Musiktheater spezialisierte Solistenensemble Kaleidoskop mit der Sängerin und Musikerin Annika Henderson aka Anika eine Neufassung von „Desertshore“, dem dritten Solo-Album von Nico aus 1970, für das sie mit dem Ex-Velvet-Underground-Bandkollegen John Cale arbeitete. Anika hat seit 2010 mit dem Dubstep-Pionier Shackleton und mit Geoff Barrow (von Portishead) gearbeitet und u. a. auf Sacred Bones Records veröffentlicht. Mit dieser Neueinspielung ist man in guter Gesellschaft: So brachte die Industrialband Throbbing Gristle 2012 eine Version heraus, und auf „Untitled“ (2008), der Debüt-Maxi von Soap&Skin, findet sich eine Coverversion des „Desertshore“-Openers „Janitor of Lunacy“. In der Version des Solistenensembles Kaleidoskop mit Anika werden Stimmungen aus Neo-Folk und Gothic aufgezogen, düstere Befindlichkeiten deutscher Romantik breiten sich auf diesem Liederzyklus aus und künden von Weltschmerz und Isolation. „Desertshore“ hatte Ende 2023 in Berlin Premiere und wurde dann u. a. im Pariser Centre Pompidou präsentiert. Zur Tour hat das Label Domino Records eine Neuauflage der Originals angekündigt.

Davor ist das australische Trio The Necks zu erleben. Chris Abrahams (Piano), Tony Buck (Schlagzeug) und Lloyd Swanton (Bass) arbeiten seit 1987 an einem einzigartigen Sound aus treibe dem Improvisationsjazz und Ambient-Drones. Ihre Alben und Konzerte bestehen meist aus nur einer Nummer. Melodien, Tempi und Phrasen werden kaum merklich durchdekliniert, und am Ende dieser Stunde ist man irgendwo gelandet und hat keine Ahnung, wie man da hingekommen ist. Man könnte sagen: The Necks spielen äußerst psychedelische Jazz-Musik. Ende 2022 haben sie das Album „Travel“ herausgebracht und sind damit auf Tour.

Am Sonntag darauf (28. April) gibt es einen der ganz raren Aufritte von Dopplereffekt. Ein Band-Mitglied war Mitgründer des legendären Detroit-Techno-Projekts Drexciya, mit einer Sängerin und Synthesizer-Spielerin wurde daraus ein Duo, dessen Musik eine der konzisesten Übertragungen der Ästhetiken und Spielweisen der Band Kraftwerk in die Jetztzeit darstellt. Seit 1995 haben sie vier Alben herausgebracht, das aktuelle nennt sich „Neurotelepathy“ (2022, Leisure System). Dopplereffekt sind zum reinen Konzept geronnene, retrofuturistische Elektronikmusik, eingebettet in die Geschichte afrodiasporischer Klanggestaltung und stationiert in Hochtechnologie-Forschungsfeldern der Biologie und der Telekommunikation.

Autechre © Bafic

Tanz die Bruchrechnung und Experimente mit dem Hier und Jetzt

Ein Headliner des Eröffnungsabends am 19. April ist die schottische Noise-Pop-Band The Jesus And Mary Chain. Von den Brüdern Jim und William Reid gegründet, feiern sie heuer ihr 40-jähriges Jubiläum und sind im Frühling auf Europa-Tour. The Jesus And Mary Chain konnten im Lauf der Zeit zwölf Top-40-Einträge in die UK Single Charts verzeichnen, und am Schluss des Films Lost in Translation (2003) erklingt die Nummer „Just Like Honey“ aus dem Debüt-Album „Psychocandy“. Sieben Jahre nach dem letzten Tonträger ist nun „Glasgow Eyes“ auf dem Label Fuzz Club erschienen. Es ist eine Platte, genauso wie man sie sich erwarten kann – Feedback-geschwängerte Gitarrenmusik, bei der man traumverloren auf seine Schuhe guckt; weshalb diese Art Musik gern Shoegaze genannt wird. In zwölf Songs spielen sich The Jesus And Mary Chain durch Up- und Downtempo-Nummern und haben hörbar Spaß. Das alles klingt satt wie die mittleren 1980er: also voll aktuell …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 74

 

GEWINNSPIEL
FAQ Magazin verlost 2×2 Karten für Donaufestival in Krems für den DAY5 am 27.April
Senden Sie bis 15.April eine E-Mail mit dem Betreff „Donaufestival 2024“ an gewinnspiel@faq-magazine.com
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!

Donaufestival
19.–21. und 26.–28. April 2024,
Krems an der Donau
www.donaufestival.at

 

| FAQ 74 | | Text: Heinrich Deisel
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