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Machines are not like us

Nach einjähriger Zwangspause scheppert es wieder beim Donaufestival in Krems. Wer den Ausflug zum Heurigen mit Knister-, Knarz- und Kopfmusik verbindet, findet in der Minoritenkirche zu neuer Hoffnung. Ein Überblick als Rauscherfahrung.

Girl Band © Rich Gilligan

Das Donaufestival feiert den Ausnahmezustand. »In The Year of The Metal Ox« lautet das Motto der Kremser Avantgarde-Festivitäten für gehobenes Distinktionsgehabe zwischen Sumpf und Lagune. Was damit gemeint ist, weiß nur Kurator Thomas Edlinger. An den ersten zwei Oktober-Wochenenden darf man allerdings auch als intellektueller Hinterbänkler hörig werden. Und mit 3G auf Abstand gehen, um zwischen Minoritenkirche und Festivalzentrum der Nische, dem Diskurs und der Performancekunst zu frönen. Wer nach einem Blick ins Programmheft glaubt, der Welt drohe ihr Untergang, dem verrät ein Wisch auf TikTok: Sie dreht sich noch. Trotzdem muss man nicht erst drei Soziologieseminare belegen, um zu verstehen, dass die Gesellschaft im … nun ja, im Schlamassel steckt. Wo man hinblickt Chaos, Krach und Kurz’sche Propaganda. Zudem nimmt der Sommer die erste Auffahrt auf der Donauufer Autobahn. Gründe für melancholische Momente in der Badewanne gäbe es also wie Noise in der Regierungskommunikation. Dass man weitermacht und ausgerechnet eine Autostunde von Wien entfernt nach Hoffnung strebt, hat weniger mit Metallochsen, sondern mit Vertrauen zu tun – schau’ ma mal, dann seng’ ma scho.

Black Country New Road © promo

Im Rahmen des Donaufestivals, der „Oase des Denkens“ (David Pfister), sprießen zwar keine Frühlingsblumen wie früher. Der Ausflug nach Krems orientiert sich dafür am Heurigenkalender. Ausgesteckt ist sowieso. Bleibt die Frage, ob man den Grünen Veltliner lieber zu kenianischem Brachialgestampfe von Duma (1. Oktober) oder zur Orgeldröhnung von Kali Malone, zu Sufi-Ritualen von Arooj Aftab oder irischem Noise-Rock von Girl Band (3. Oktober) inhalieren soll. Mit Black Country, New Road (9. Oktober) kommt schließlich ein – pssscht – Geheimtipp nach Krems. Die Band aus London veröffentlichte zuletzt ein Album, bei dem sich Silberrücken in Musikredaktionen vor lauter Freude auf dem Boden welzten. Vergleiche mit Tortoise und Slint fielen. Black Midi seien zudem gute Freunde. Das passt. Immerhin fallen die sieben Buberln und Mäderln mit Schrammeleien an den Hals, der Rock in den Jazzclub verlegt und Jazz auf Menschen zuschneidert, die mit 35 ihre alten Band-Shirts zum Moshpit beim Zoom-Konzert überstreifen. Allein Isaac Wood, der Sänger, ist eine Wucht; pofelt Mentholzigaretten, seit er zwölf ist; verkörpert die Eleganz von Kurt Vonnegut auf Britisch. Und legt Ornette Coleman zum Bio-Brunch auf, bevor zum Dessert drei Dosen Ege Bamyasi dran glauben müssen.

Robert Henke © Nic Launceford

Ähnliche Gefühlsausbrüche verlangen nur die ungarischen Hauptstadtjungs um Decolonize Your Mind Society (9. Oktober) ab. Im Gegensatz zu weißen White Collar-Kids aus London, entsorgt die Budapester Band ihre Stimmgeräte in der Donau und träumt vom Nahen Osten. Robert Henke, der Nerd unter den Computermusikanten, verkabelt für sein neuestes Projekt eine private Lan-Party – und sorgt für Chaos im Computerclub (8. Oktober). Keinen HTML-Kurs muss man für das Konzert von Conny Frischauf (9. Oktober) belegen. Die Wienerin schreibt Melodien für Menschen, die sich nach einem Seuchenjahr noch spüren. Und mit Bureau B so etwas wie die neue Normalität im Home-Office assoziieren. Wenn Picasso ein ganzes Leben lang gebraucht hat, um wieder so zu malen wie in der Regenbogengruppe, braucht Frischauf dafür eine halbe Stunde. Mit ihrem Album „Die Drift“ wird sie nicht nur im Kindergarten, sondern auch in der Minoritenkirche für Rudelbildung sorgen. Altersempfehlung: vom ersten Milchzahn bis zur letzten Kukident-Tablette.

Phantom Gold © promo

Jung Kohlberger © Milica Balubdzic

Lokalkolorit glänzt auch beim Wiener Underground-Palestinenser Asifeh sowie der Ventil-Chefin Ursula Winterauer als Gischt (10. Oktober). Rosa Anschütz haucht zu Düster-Kram ins Mikro (8. Oktober), während Phantom Gold – eine Zusammenarbeit zwischen den DIY-Punks um Rosa Nebel und Herrgottsblick – zur Beichte auf die Knie fallen. Das Wiener Angewandten-Duo Jung an Tagen und Rainer Kohlberger pult nebenbei am ersten Festival-Wochenende in den Gehörgängen. Und Elvin Brandhi hält zwischen Senegal, Marokko und dem Libanon für einen Auftritt in Krems, um der Aufmerksamkeitsökonomie mit drei Schlucken aus dem Ritalin-Fass zu begegnen (1. Oktober). Wer in all der Knister-, Knarz- und Krachmusik nicht zur Erlösung findet, sollte beim Irgendwas-mit-Postrock-Rap-Projekt von Ghostpoet den Heiland suchen oder der kanadischen Trans-Musikerin lauschen, wie sie aus dreistündigen Songskizzen zur Pop-Exegese ruft (10. Oktober). Darüber schwärmte zuletzt sogar die Standard-Kratzbürste in ehrfürchtigen Tönen.

Marco Donnarumma, Margherita Pevere © promo

Neben allerlei musikalischen Ganzkörpermassagen wartet das Donaufestival wie jedes Jahr mit Themen-Talks und Film-Nachmittagen auf. Den Kopfgarten beackern Lectures von James Bridle und Timothy Morton. Während letzterer von Hyperobjekten und künstlerischen Intelligenzen berichtet, propagiert Internetauskenner Bridle das „New Dark Age“. Nicht nur die Sonne bricht bei Marco Donnarumma und Margherita Pevere vom Firmament. Von „Eingeweide“, dem Titel ihrer Performance, darf man sich Splatter-Spaß im Tanz-Theater erhoffen, während Ingri Fiksdal, Fredrik Floen und Mariama Fatou Kalley Slåttøy für Erregung öffentlichen Interesses sorgen.

 

Der Metallochse glüht. Das Donaufestival steht.
Die vollständige Programmübersicht findet man unter: www.donaufestival.at

 

 

| | Text: Christoph Benkeser
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