Startseite » Monumentaler Minimalismus

Monumentaler Minimalismus

Die Kunsthalle Krems zeigt die erste umfangreiche monografische Ausstellung zu Eduardo Chillida in Österreich.

Eduardo Chillida, Peine del viento XV, 1976/77. Courtesy of the Estate of Eduardo Chillida and Hauser & Wirth, Foto: Eneko Santiago Saracho © Zabalaga-Leku, Bildrecht, Wien 2023

Eduardo Chillida (1924–2002) zählt zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts; oft wird der Name des spanisch-baskischen Künstlers in einem Atemzug mit Größen wie Alberto Giacometti (mit dem er befreundet war) oder Henry Moore genannt. Wie bei vielen Meistern erkennt man auch Chillidas Werke auf den ersten Blick: Seine Skulpturen verbinden Abstraktion und Minimalismus mit einer ungeheuren Massivität – ohne dabei je pompös zu wirken. Zudem traten Chillidas Schöpfungen gern aus dem geschlossenen Raum des Museums hinaus in die freie Natur und den öffentlichen Raum.

Eduardo Chillida wurde am 10. Jänner 1924 in San Sebastián, Spanien, geboren, studierte zunächst Architektur, wandte sich aber schnell der Zeichnung und der Bildhauerei zu und ging 1948 nach Paris. Das abgebrochene Architekturstudium spiegelt sich insofern in seiner künstlerischen Arbeit wider, als darin ein ausgeprägter Sinn für Struktur, Materialien, räumliche Beziehungen und Dimensionierung von Elementen zu finden ist. Nach seiner Rückkehr ins Baskenland (wo er bis zu seinem Tod lebte) arbeitete Chillida bevorzugt mit Eisen, Stein und Holz. Nicht wenige Kunstkritiker verwiesen hier auf den Einfluss baskischer Traditionen in Industrie und Architektur. Diese Prägung durch die Region formulierte Chillida für sich in einem Gedanken, der an den bekannten Slogan „Think global, act local“ erinnert: „Ich bin einer von denen, die – und für mich ist das sehr wichtig – denken, dass Menschen von einem Ort stammen. Idealerweise stammen wir von einem Ort, haben unsere Wurzeln in einem Ort, aber unsere Arme strecken wir aus in die ganze Welt, lassen uns inspirieren von den Ideen der verschiedenen Kulturen.“ Chillida war der Meinung, dass Kunst an Personen und Leistungen erinnern könne – nicht nur durch Geschichten, sondern durch Verschmelzung von Materie und Raum.

Eduardo Chillida, Proyecto Berlin II, 1999. Courtesy of the Estate of Eduardo Chillida and Hauser & Wirth, Foto: Iñigo Santiago © Zabalaga-Leku, Bildrecht, Wien 2023

Zentral wurde für Chillida die Frage, wie Masse und Volumen Raum beinhalten. Der Künstler ging oft von Grundformen wie Kreisen, Kugeln oder Würfeln aus, modellierte sie jedoch dergestalt, dass komplexe Skulpturen entstanden. Die Verwendung natürlicher Materialien – neben Metall und Holz arbeitete Chillida mit Stein – trug zu einem Dialog mit der Natur bei. Seine monumentalen, großformatigen Arbeiten waren weithin sichtbar, doch unterwarfen sie den Raum nicht. Die Corten-Stahl-Skulpturen lösten sich von der klassischen Skulpturentradition, definierten eine eigene Formensprache. Im erhitzten Zustand drehte, bog und dehnte Chillida das Metall, bis es seinen künstlerischen Vorstellungen entsprach. Chillida arbeitete dabei nicht in Gießereien, sondern in industriellen Schmieden. Das Schmieden unterscheidet sich stark vom Gießen; der Stahl in der Schmiede erhitzt sich, wird aber in festem Zustand bearbeitet. Dadurch antwortet das Material auf jede Bewegung in seiner eigenen Sprache.

Eduardo Chillida, Untitled, 1952. Courtesy of the Estate of Eduardo Chillida and Hauser & Wirth, Foto: Mikel Chillida © Zabalaga-Leku, Bildrecht, Wien 2023

Ausgesprochen gut kamen Chillidas Werke in Deutschland an – beispielsweise „Monumento“ vor dem Dreischeibenhaus in Düsseldorf (1983), eine Skulptur, die mit ihren Biegungen und Drehungen auch von ihrer Entstehung erzählt, von den Kräften, die bei der Genese auf sie einwirkten. Viele dieser Arbeiten sind bei aller Ästhetik, bei aller raffinierten Formensprache – die Eleganz im Minimalismus zu finden verstand – auch politisch: „Toleranz durch Dialog“ nennt sich etwa die aus zwei einander gegenüberstehenden Corten-Stahl-Bänken bestehende Skulptur. Eine Idee, die so simpel wie effektiv ist. Besonders bekannt wurde die Skulptur „Berlin“, die seit 2000 prominent vor dem Bundeskanzleramt zu finden ist, und sich als Symbol der deutschen Wiedervereinigung interpretieren lässt.

Eduardo Chillida, Untitled, 1970. Courtesy of the Estate of Eduardo Chillida and Hauser & Wirth, Foto: Mikel Chillida © Zabalaga-Leku, Bildrecht, Wien 2023

Die Kunsthalle Krems präsentiert nun mit insgesamt 80 Arbeiten die erste umfangreiche monografische Ausstellung von Eduardo Chillida in Österreich. Die Schau zeigt dabei Skizzen, Modelle und fotografische Dokumentationen der prominenten Skulpturenprojekte, wie „Peine del Viento“ oder „San Sebastián“; das grafische Werk bildet zweifellos ein wichtiges Pendant zu den Skulpturen. Zur Grafik gehören lineare Zeichnungen, flächenbezogene Collagen, geprägte Druckgrafiken oder hängende Papierarbeiten. Diese berühmten „Gravitaciones“ bestehen aus einzelnen Papierfragmenten, die unabhängig voneinander an Fäden fixiert sind. Die Blätter rahmen einander ein, heben sich voneinander ab, erzeugen Licht- und Schattenräume. Auch in diesen Papier-Reliefs zeigen sich also bildhauerische Akzente.

Eduardo Chillida in seinem Atelier in der Villa Paz, San Sebastián, ca. 1990. Courtesy of the Estate of Eduardo Chillida and Hauser & Wirth, Foto: Jesús Uriarte © Jesús Uriarte

Große Bekanntheit erlangte Chillida auch durch seine „Hand-Zeichnung“ im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft in Spanien 1982. Künstler aus Spanien entwarfen damals Sujets für jeden der Spielorte. In Chillidas Zeichnung steht „Bilbao 82“ dutzende Male in einem Kreissegment geschrieben. Darunter findet sich seine stilisiert gezeichnete Hand, deren Finger zur Faust geballt sind. Hier zeigt sich also ebenfalls das Verhältnis zwischen Masse und Innenraum.

Doch auch das Frühwerk aus Gips ist in Krems zu sehen, etwa „Yacente“ („ruhend“, 1949), eine interessante Kombination aus Geometrie und Körperlichkeit. Die Form der Steinskulptur „Concreción“ (1950) regt die Fantasie mit ihrer animalischen Form zwischen Konkretem und Abstraktion an. Sein Credo brachte Chillida so auf den Punkt: „Mein Leben ist ein Abenteuer gewesen, ich habe es bei jedem Werk aufs Spiel gesetzt. Mein Leben und mein Werk bestanden immer daraus, das zu tun versuchen, was ich nicht beherrschte, und so habe ich meine Zeit fragend, zweifelnd, suchend verbracht.“

 

Eduardo Chillida. Gravitation
April bis 24. September 2023
Kunsthalle Krems / www.kunsthalle.at

 

| FAQ 70 | | Text: Oliver Stangl
Share